Um diesem Meilenstein eine feierliche Note zu geben, suchen wir nach einem entsprechenden Event. Im nahen Ausland werden wir 40 Kilometer südlich von Genf fündig. Der Marathon du Lac d'Annecy bietet eine DUO-Kategorie, die es erlaubt, die 42.195 Kilometer zu teilen.
Annecy - im Département Haut-Savoie in Süd-Ost-Frankreich am gleichnamigen See gelegen - begeistert uns auf Anhieb. Malerisch eingebettet in die Bergwelt, liegt der See auf 447 müM, und sein kristallklares Wasser glitzert türkisblau in der Nachmittagssonne. Unweit des Nordufers finden wir einen Kilometer von der Startgeraden entfernt den letzten Gratis-Stellplatz für's Wohnmobil. Vor dem Abendessen bleibt noch Zeit für ein kurzes Sightseeing-Jogging.
Blühende Parks säumen das Ufer, Boote und Pedalos schaukeln auf den Wellen, in Scharen tummeln sich Einheimische und Touristen an der milden Frühlingssonne, und in den Gassen der mittelalterlichen Altstadt pulsiert das Leben. Wen wundert's dass man den Stadtkern von Annecy "Venedig der Alpen" nennt? Man feiert sogar zur selben Zeit im selben Stil Karneval wie in Venedig.
Die bunten Häuserfassaden reflektieren das warme Licht der untergehenden Sonne, und das 1132 erbaute Palais de l'Isle mitten im glasklaren Fluss Thiou wird hundertfach auf Fotos gebannt.
Von der Liebesbrücke "Pont des Amours" aus nehmen wir auch noch das Zielgelände in Augenschein.
Die zwei Kilometer Hin- und Rückweg zur Altstadt sind auch abends für einen Bummel gut. Die Temperatur erinnert schon an Frühsommer, und wir können sogar draussen sitzen. Restaurants welche Pasta-Gerichte anbieten sind besonders begehrt, denn die lokalen Käsespezialitäten Fondue, Raclette oder Tartiflette - ein mit Reblochon-Käse überbackener Gratin aus Kartoffeln, Zwiebeln und Speck - kostet man wohl besser nach dem Lauf ...
In der Nacht gehen heftige Schauer nieder, und der Wind rüttelt am Wohnmobil. Am Morgen hängen schwere Wolken über dem See, das Thermometer zeigt kühle 11 Grad an, und als ich Andi zum Bus begleite, der die eine Hälfte der Staffelläufer ans Südende des Sees bringt, beginnt es zu tröpfeln.
Nach kurzem Aufwärmen stelle ich mich eilig zu den ersten Läufern, deren Startnummer die selbe Farbe hat wie meine. Wie sich nach dem Start herausstellt, hätte ich besser nach den Flaggen der Tempomacher Ausschau gehalten ...
Um 8:30 Uhr fällt der Startschuss. Das Feld bewegt sich auf der Avenue d'Albigny nur langsam über die Startlinie, und eine Runde durchs Quartier fällt sehr gemütlich aus. Bei der zweiten Startpassage rollt es immer noch nicht.
Der Weg durch und um den grössten Park Champ du Mars bietet ebenfalls kaum Möglichkeiten zum Überholen. Ich habe mich definitiv falsch eingereiht. Doch vielleicht bewahrt das gemütliche Anfangstempo vor Übermut und Energieverlust, was angesichts des zu erwartenden Gegenwindes Sinn machen könnte ...
Als wir an der malerischen Altstadt vorbeikommen, sind schon vier Kilometer geschafft.
Auf dem Radweg geht es nun südwärts. Die leichten Regenschauer sind nicht unangenehm, und es herrscht kein Mangel an breiten Rücken die Windschutz bieten.
Die Aussicht auf See und Berge ist fantastisch, weckt aber auch Respekt, denn vorerst ist nur der grössere, nördliche Teil des Lac d'Annecy zu sehen - der Grand Lac. Der vier Kilometer lange Petit Lac verbirgt sich noch hinter einer Landzunge.
Nur kurz laufen wir direkt am See neben der Strasse. Nach sechs Kilometern steigt der Radweg ein paar wenige Meter und ähnelt in der Folge einem Damm. Dieser verläuft durch Wohngebiete und eigenartigerweise quer zu den Wasserläufen der fruchtbaren Schwemmland-Ebenen!?
Nun habe ich mein Tempo gefunden - ein paar wenige Sekunden über einem 5er Schnitt. Als ich nach der ersten Streckenhälfte in Saint-Jorioz die Läufertraube um den 3:45-Stunden-Pacemaker überholen kann, herrscht keine Stolpergefahr mehr. Endlich kann ich ungehindert knipsen und die Landschaft bewundern.
Rechterhand erhebt sich die steile, bewaldete Flanke des Massif des Bauges. Die schroffen Gipfel auf der anderen Seeseite sind noch schneebedeckt, doch in den Gärten leuchten nebst Osterglocken, Narzissen und Tulpen schon die ersten Mohnblumen.
Viele Läufer haben unglaublich viel Puste und plappern miteinander, als ob sie gemütlich im Bistrot sässen. Trotz Regen lockt der Marathon reichlich Publikum an die Strecke - jeder wird angefeuert, die Stimmung unterwegs ist ausgezeichnet.
Auch unter grau verhangenem Himmel leuchtet das junge, frische Frühlingsgrün belebend.
Auf dem 15. Kilometer erreichen wir Duingt. Das kleine Dorf liegt am Fuss des schroffen Grates Taillefer auf einer weit vorspringenden, felsigen Halbinsel.
Nach der Umrundung der Kirche gibt es eine Überraschung.
Ein enger, kurzer Tunnel führt uns zum Petit Lac. Sonderbare "hohle Gassen" und weitere Dämme folgen - sanftes Auf und Ab wechselt. Wie vom Organisator versprochen, ist der Parcours flüssig zu laufen. Der Sieger bzw. die Siegerin werden nach 2:12 respektive 2:29 Stunden ins Ziel kommen.
Erst zurück zuhause entdecke ich per Zufall das Geheimnis dieser speziellen Strecke. Wir waren auf einer stillgelegten Eisenbahntrasse unterwegs!
Auf dem letzten Kilometer wage ich mich aus dem Windschatten. Mein Plan von einem gut eingeteilten, höchstens mit Marathon-Durchschnittspuls gelaufenen Testlauf geht auf. Der Endspurt führt leicht aufwärts über die breite Talebene von Doussard, und das Tempo lässt sich halten, die gewünschte sub 1:50 Zeit nach 1:49:26 Stunden erreichen.
Die Wechselzone liegt 200 Meter hinter meiner Ziellinie. Jedem Staffel-Paar war die Übergabe der Startnummer samt Chip bei der Nummernausgabe persönlich erklärt worden. Es gäbe keinen Grund zur Eile, die Zeit würde angehalten und nach dem Loslaufen des Partners die Startzeit für die zweite Etappe genommen ...
Als ich meine Uhr nach der Halbmarathon-Marke gestoppt habe, verlangsame ich. Doch da sehe ich, dass Andi mich ungeduldig und gestikulierend bereits am Eingang des Wechselkanals erwartet - offenbar gibt es keine zweite Zeitmessmatte. Unsere Marathon-Uhr läuft! Also nochmals beschleunigen. So schnell wie möglich drücke ich ihm das Startnummernband in die Hand. Es reicht knapp zu erzählen, dass die Strecke schön und es mir gut gegangen sei, schon ist er weg.
Weitere, stärkere Regenschauer ziehen heran, und ich bin froh, dass beim nahen Friedhof ein Zelt bereit steht, in dem wir uns verpflegen und umziehen können. Bald fährt der erste Bus zurück nach Annecy.
Währenddessen macht Andi einen Staffel-Platz nach dem anderen gut. Die Konkurrenten kann man durch ein oranges, am Handgelenk getragenes Schweissband von den Marathonis unterscheiden.
Als die 3-Stunden Läufer ihren letzten Kilometer auf der Promenade des hübschen Parks Les Jardins de l'Europe und entlang des Canal du Vassé laufen, bin ich zurück an der Strecke. Unbeirrt harrt das Publikum bei Wind und Regen aus und unterstützt die Läufer mit viel Applaus und mitreissendem Zuspruch. Beim Mitfiebern verfliegt die Zeit rasant.
Etwa um fünf vor zwölf Uhr naht Andi mit unverkennbarem Stil und kraftvollen Schritten. Aus dem vereinbarten gemeinsamen Zieleinlauf scheint angesichts seines Tempos nichts zu werden. Offenbar war er nach wenigen Kilometern von einem jungen Mann überholt worden, der aber immer in Sichtweite blieb. Ein Endspurt soll das Blatt nun noch wenden.
Während ich die Abkürzung über die Liebesbrücke nehme, gelingt das Überholmanöver. Die letzten 100 Meter schaffe ich trotz geschulterter Sporttasche mit Andi im Gleichschritt, so erreichen wir nach 3:29:10 Stunden doch noch gemeinsam die Ziellinie (zweiter Halbmarathon - 1:39:44 Stunden).
Dass auch die Staffelläufer eine Marathon-Medaille erhalten würden, hatten wir beim günstigen Startgeld von total 75 Euro nicht erwartet. Nun drückt man uns gleich zwei dieser Auszeichnungen in die Hand. Ein super sitzendes funktionales T-Shirt gab's schon im Startpaket, und das Zielzelt verlassen wir nun mit zwei reichlich gefüllten Verpflegungsbeuteln.
Das bisschen Hektik in der Wechselzone ist angesichts der vielen positiven Überraschungen, die unser erster Lauf-Ausflug nach Frankreich bot, schnell vergessen. Während wir vor der nächsten Regen-Dusche zum Wohnmobil eilen, fantasieren wir schon über die Rückkehr hierhin, um einen ganzen Marathon zu laufen.
Die schmucke Altstadt besuchen wir sofort nochmals. Aus dem von aussen unscheinbar wirkenden "le sapaudia" duftet es verführerisch nach Pizza, und das moderne Innere des Restaurants, wie auch die feinen Pizze übertreffen alle Erwartungen ...
Erstaunlich, welch wunderbares Erlebnis aus dem vor wenigen Wochen gelesenen Eintrag im Europa-Marathon-Kalender wurde!
Marathon DUO (Staffel / 2 x Halbmarathon) 3:29:10 Stunden
29. von 121 Paaren der Kategorie DUO MIX
1. Etappe - Marianne
1:49:26 Stunden (5:11 Min./km) Puls 158
+/- 55 hm, 11° bedeckt, leichter Regen, leichter Süd-Wind
Track https://connect.garmin.com/modern/activity/1129915078
2. Etappe - Andi
1:39:44 Stunden (4:43 Min./km) Puls 154
13°, bedeckt, leichter Regen, leichter Süd-Wind
Track https://connect.garmin.com/modern/activity/1130175965