Nach dem
Edinburgh Marathon gönnten wir uns knapp drei Wochen Erholung und versuchten
darauf, unsere Langstrecken-Ausdauer in weiteren drei Wochen wieder aufzubauen.
Vom letzten Montag bis Donnerstag waren wir per Wohnmobil auf der nicht enden
wollenden Anreise nach Stockholm. Und ab der ersten Reisestunde plagten mich starke
Kopfschmerzen. Über 2‘400 Kilometer Sitzen, geschaukelt Werden und Aufmerksam Sein
waren sehr fordernd. Am Morgen vor dem Start war mir übel. Und als ich nach dem
Einlaufen zum Stadion das erste Foto schiessen wollte und bemerkte, dass ich
keinen Speicher-Chip in der Kamera hatte, da fragte ich mich, ob unser Vorhaben
nicht allzu erzwungen sei und mein 20. Marathon unter keinem guten Stern
stünde!
Schneller
als im geplanten Marathon-Tempo rasten wir über einen Kilometer zurück zum
Hotel Birger Jarl, in dem wir für einen Tag eingecheckt hatten, und holten das winzige,
fehlende Ding. Dabei fühlte ich mich erstaunlich gut, und wir waren zum Glück
rechtzeitig zurück beim Stadion, um direkt vor dem Westportal in unserem Startblock,
den zweiten, zu schlüpfen. Wir suchten uns einen Schattenplatz, denn es war mit
19 Grad und leichter Bewölkung recht warm.
Wir wurden in fünf Blöcke zu 2‘500 Teilnehmern eingeteilt, die jeweils acht Minuten vor dem Start ins Stadion geführt wurden. Die Helfer scheuten die logistische Herausforderung nicht, allen Läufern zu ermöglichen, im Stadion zu starten und die ersten 300 Meter auf der Bahn zu rennen, genauso wie damals bei der Olympiade 1912!
Da standen wir nun also nahe des einen Turmes vor dem berühmten 100 jährigen Stadion. Einem gewaltigen, eindrücklichen Bau aus dunkelroten Ziegelsteinen, der an die mittelalterliche Ring-Stadtmauer von Visby auf Gotland erinnern soll. Das Stadion von Stockholm ist das älteste Olympiastadion, das noch in Gebrauch ist. Und es ist ein sehr berühmtes Pflaster für die Leichtathletik. Ganze 83 Weltrekorde wurden hier aufgestellt, mehr als irgendwo sonst. Für uns hat es eine so besondere Bedeutung, da wir hier 2004 ins Ziel unseres allerersten Marathons liefen.
Langweilig wurde es beim Warten auf den Start nie. Die Tenues der Mitläufer zu studieren war sehr interessant. Viele hatten das grosse, weisse Taschentuch aus dem Startpaket an allen vier Ecken verknotet und trugen es nun als Sonnenschutz, genauso wie die meisten Marathon-Läufer am 30 Grad heissen 14. Juli 1912. Einige trugen Laufkleidung im Stil von anno dazumal, weisse Baumwoll-Shirts ohne Ärmel mit aufgenähter Landesflagge und dazu Stoffshorts. Andere waren gar in festliche Kostüme aus alten Zeiten gekleidet. Man sah Frauen mit langen Röcken und breitrandigen, federgeschmückten Hüten und Männer in Anzug mit Melone oder karierten Hosen mit Hosenträgern, Hemd und Gilet. Denn es gab auch eine Wertung für das authentischste nostalgische Kostüm.
Wir setzten auf moderne Sportkleidung. Um dem Anlass gerecht zu werden, liefen wir in Weiss, und ich startete erstmals in einem kurzen Laufrock zu einem Marathon. An unseren Stoff-Startnummern mit den riesigen, verschnörkelten Ziffern war ein ultramoderner flacher Chip befestigt.
Endlich wurde die erste Gruppe unter tosendem Applaus ins Stadion geführt, und wir durften bis zum Portal vorrücken, so dass wir bereits einen Blick in die Arena werfen konnten.
Die königliche
Tribüne war mit Südafrikas Flagge geschmückt, da der Sieger von 1912, Kennedy
Kane Mc Arthur aus diesem Land gekommen war. An den Türmen flatterten die riesigen
Fahnen Schwedens bzw. Stockholms mit dem Portrait des Stadtgründers Birger Jarl,
und rund ums Tribünendach viele Nationalflaggen in einer recht starken Brise. Ein
Blasorchester spielte passende Musik, und auf dem Rasen machten sich die
Schützen der Svea Leibgarde in 100 jährigen Uniformen bereit, den Startschuss abzugeben. Dazu stopften sie ihre
alten Vorderlader mit Schwarzpulver und Papierpatronen. Pünktlich um 13:48 Uhr,
zu haargenau derselben Zeit wie 1912, liessen die gewaltigen Schüsse das
Stadion erzittern, und die erste Gruppe wurde auf die nostalgische Reise
geschickt.
In der
Spitzengruppe dabei war Anders Szalkai, ein ehemaliger schwedischer
Spitzenläufer und heute Trainingsplan-Schreiber von Runner’s World Schweden. Er
trug ein grünes Lauftrikot, genauso wie damals der spätere Sieger Mc Arthur,
denn er machte sich auf, genau dessen Rennen und spätere Siegerzeit von 2:36:54
über 40.075 Kilometer zu laufen. Ein weiterer schwedischer Athlet mimte Sigge
Jacobsson, der damals als erster Schwede und Europäer mit 2:43:24 auf den 6.
Platz gekommen war.
Nach wenigen Minuten war der erste Läufertatzelwurm aus dem Stadion verschwunden. Und wir durften auf der federnden Tartanbahn bis zum Startbogen bei der königlichen Tribüne vorrücken. Das war ein sehr berührender Moment. Erinnerungen an unseren allerersten Zieleinlauf kamen hoch, und der Jubel des zum Teil ebenfalls kostümierten Publikums war einfach bewegend. Da spielte es keine Rolle, dass heute die Königsfamilie fehlte, da sie auf Öland weilte, um dort traditionell den Geburtstag von Kronprinzessin Viktoria zu feiern.
Jetzt
konnten wir aus nächster Nähe beobachten, wie die Gardisten ihre antiken Waffen
erneut bereitmachten, und um 13:58 Uhr donnerte unser Startschuss. Das Publikum feierte uns bereits auf den ersten
Metern wie Sieger. Viel zu schnell war diese genussvolle ¾ Stadion-Runde vorbei,
und durchs Haupttor liefen wir auf Stockholms längste Strasse, den
Vallhallavägen hinaus. Auch dort standen die Zuschauer mehrreihig. Fahnen
wurden geschwenkt und ihre Begeisterung war sehr ansteckend. Meine
Kopfschmerzen und die Übelkeit waren wie weggeblasen, und wir liessen uns vom
Läuferstrom mitziehen.
Die Strecke
war im Programm als hart und mit einigen happigen Anstiegen versehen beschrieben worden. Und wir hatten uns
vorgenommen, eine Pace von 5:27 bis 5:33 Min./km zu laufen. Sogleich folgte der
erste Hügel zur Technischen Hochschule hoch, einem ebenfalls wunderschönen
Ziegelbau, und bald darauf stoppten wir den ersten Kilometer mit 5:29 Min./km.
Wo es raufgeht, geht es bald auch runter, und die nächste Zwischenzeit war nur
noch 5:05 Min./km. Wie sollten wir auf diesem Kurs mit einem Höhenprofil à la
EKG-Kurve einen vernünftigen Rhythmus finden?
Auf die EKG genaue Messung der Herzfrequenz meiner Polar-Uhr konnte ich mich diesmal nicht verlassen. Sie verweigerte mir bei diesem Nostalgie-Lauf einen fehlerfreien Dienst, wohl da es vor 100 Jahren noch keine Pulsmesser gegeben hatte? Andis Garmin meldete aber tiefe Werte, und so entschieden wir uns, es einfach nach Gefühl rollen zu lassen.
Auf die EKG genaue Messung der Herzfrequenz meiner Polar-Uhr konnte ich mich diesmal nicht verlassen. Sie verweigerte mir bei diesem Nostalgie-Lauf einen fehlerfreien Dienst, wohl da es vor 100 Jahren noch keine Pulsmesser gegeben hatte? Andis Garmin meldete aber tiefe Werte, und so entschieden wir uns, es einfach nach Gefühl rollen zu lassen.
Obwohl wir
in einer Grossstadt gestartet waren, gelangten wir erstaunlicherweise bereits
auf dem zweiten Kilometer in einen schattigen Wald. Schnell wechselte die
Umgebung. Es ging entlang einer Eisenbahnlinie, und vorbei an den
Schrebergärten von Söderbrunn. Jedes einzelne der Gartenhäuschen war eine
gepflegte Miniaturausgabe der wunderschönen, farbenfrohen schwedischen
Holzhäuser mit den weissen Fensterrahmen. Darauf liefen wir auf dem Radweg
neben der mehrspurigen Autobahn E4 und erreichten das gewaltige Reichsmuseum,
einen weiteren beeindruckenden Ziegelsteinbau.
Flach war die Strecke gar nie. Doch obwohl ich das Gefühl hatte, keinen Rhythmus zu finden, lief es eigentlich gut. Nur das Zwicken um mein rechtes Hüftgelenk beunruhigte mich. Schmerzen schon auf den ersten fünf Kilometern?
Im Zentrum
von Solna wurde für die Zuschauer ein Fest organisiert. Da gab es Imbissbuden,
Hüpfburgen für die Kleinen und zum Jubiläums-Lauf passende Musik für uns alle.
Wir freuten uns über das bunte Treiben und den gewaltigen Zuspruch, während wir
auf der recht schmalen, von schattenspendenden Platanen gesäumten
Quartierstrasse durch diese Vorstadt rannten. Immerhin konnten wir auf Asphalt
laufen und mussten nicht wie die Athleten vor hundert Jahren auf staubigen
Naturstrassen rennen, welche immerhin vor dem Anlass von den grössten Steinen
befreit und mit Wasser besprüht worden waren.
Kurz
darauf waren wir wieder im Wald, es folgte ein happiger, sehr steiler Anstieg
von 25 Höhenmetern am Stück. Und noch viel schneller waren wir wieder auf
Meereshöhe unterwegs. Es ging entlang einer weiteren bunten Gartenhaussiedlung
und saftigen Schafweiden. Und plötzlich waren wir erneut an der stark
befahrenen E4, grösser hätten die Gegensätze nicht sein können! Aber diese
machten den Lauf spannend.
Wie so oft nach sieben Kilometern verebbten meine Anlauf-Beschwerden und Andi meinte, er fühle sich deutlich besser, als auf den ersten 10 Kilometern des Edinburgh Marathons.
Wir hatten genug Energie uns zu unterhalten und die Kostüme der anderen Läufer zu studieren. Je nach Garderobe waren ganz spezielle Laufstile nötig. Mit einem langen Rock ist es eindeutig nicht leicht zu rennen, doch es hatten sich nicht nur Frauen mit solchen Roben gekleidet!
Wie so oft nach sieben Kilometern verebbten meine Anlauf-Beschwerden und Andi meinte, er fühle sich deutlich besser, als auf den ersten 10 Kilometern des Edinburgh Marathons.
Wir hatten genug Energie uns zu unterhalten und die Kostüme der anderen Läufer zu studieren. Je nach Garderobe waren ganz spezielle Laufstile nötig. Mit einem langen Rock ist es eindeutig nicht leicht zu rennen, doch es hatten sich nicht nur Frauen mit solchen Roben gekleidet!
Immer wieder wurde nostalgische Musik geboten. Kurz vor Kilometer 10 stand ein Drehorgelspieler samt Polizist in hundertjähriger Uniform.
Wir
erreichten Sollentuna, auf dessen Gebiet die Hälfte der Strecke zurückgelegt wurde
und sich auch der Wendepunkt befand. Beim beliebten Restaurant Lillstugan war
viel los, denn alle kostümierten Zuschauer konnten hier für nur eine Krone (ca.
13 Rappen) Kaffee und Zimtschnecken geniessen. Es gab einen roten Oldtimer zu
bewundern und Texas-Swing-Musik zu hören, welche uns für die nächsten Kilometer
beschwingte.
Es folgte ein langer Anstieg über drei Kilometer, und Andi entschied sich, hier „in die Büsche“ zu gehen. Da ihm Bergaufstrecken leichter fallen als mir, hoffte er, mich leicht wieder einholen zu können. Ich fürchtete schon, wir hätten einander verloren, weil auf diesem Streckenabschnitt so viel los war. Doch nach 1.5 km war er wieder da.
Bis dahin waren wir etwa alle drei Kilometer mit Wasser, Sportgetränken und Wannen zum Eintauchen von Schwämmen und Mützen versorgt worden. Die Olympioniken hatten 1912 bis Kilometer 11 auf die erste Erfrischung warten müssen. Präzis wie damals wurde uns an dieser Stelle eine nostalgische Verpflegungsstation geboten. Wasser, Eistee und Kaffee wurde an Marktständen mit rot-weissen Stoffdächern ausgeschenkt, es gab Zitronen und Orangenschnitze, und die Funktionäre waren gekleidet wie anno dazumal. Vorerst begnügte ich mich mit dem Betrachten dieser schönen Auslagen, die eigene Verpflegung reichte noch für ein paar Kilometer.
Es gab keinen
Kilometer ohne Publikum. Viele hatten es sich auf Wiesen am Strassenrand bei
einem Picknick bequem gemacht. Und ich weiss nicht, wie viele hundert
Kinder-Hände ich abgeklatscht habe. Beim Bahnhof von Sollentuna wurden wir
besonders umjubelt. Hier standen die Leute wieder mehrreihig und Fahnen wurden
geschwenkt. Der Publikumsauflauf war wohl besonders dicht, weil bald die
Spitzenläufer erwartet wurden. Tatsächlich kamen uns bald ein Polizei-Motorrad und
die ersten schnellen Athleten entgegen. An zweiter Stelle lief der ehemalige
Jungfrau-Marathon-Sieger Hermann Achmüller, welcher später den Lauf über die
nostalgische Distanz für sich entscheiden sollte.
Beim
Edsbacka Wärdshus war eine zweite Verpflegungsstelle im alten Stil eingerichtet
worden. Hier applaudierten uns Zuschauer in Frack und Zylinder oder eleganten
Spitzenkleidern samt Hut und
Sonnenschirm, der heute eher als Regenschirm diente, denn es hatte leicht und
erfrischend zu tröpfeln begonnen. Ein Frauenchor gab ein altes, schwedisches Sommerlied
zum Besten, und die Sängerinnen waren ebenfalls alle traditionell gekleidet.
Immer
dichter wurde der Strom der entgegenkommenden Läufer aus dem ersten Startblock.
Auf schmaleren Wegen wurde es richtig eng und sehr schwierig zum Überholen.
Bald war
die Kirchturmspitze der Sollentuna Kyrka zu sehen, deren älteste Teile aus dem
12. Jahrhundert stammen. Vor wenigen Tagen war der Gedenkstein zu Ehren der
Olympiade von 1912 um wenige Meter auf einen kleinen Rasenplatz vor der Kirche
versetzt worden, um uns einen würdigen Wendepunkt zu bescheren.
Während wir das Denkmal in Form einer dorischen Säule umrundeten, beflügelte uns der begeisterte Zuspruch von unglaublich vielen Zuschauern. Ja die Schweden wissen, wie man Feste gebührend feiert!
Während wir das Denkmal in Form einer dorischen Säule umrundeten, beflügelte uns der begeisterte Zuspruch von unglaublich vielen Zuschauern. Ja die Schweden wissen, wie man Feste gebührend feiert!
Mit
Gänsehaut-Feeling machten wir uns auf den Rückweg zum Stadion. Wir fühlten uns
sehr gut und liessen es einfach nach Gefühl etwa mit konstanter
Anstrengung rollen. Irgendeine bestimmte
Pace anzustreben war unmöglich. Bis dahin hatten wir auf dem welligen Kurs sehr
unterschiedliche Kilometerzeiten zwischen 6:20 bis 4:57 Min./km gemessen. Eine
Halbmarathon-Marke gab es in diesem historischen Lauf nicht. Wir stoppten von
Hand 1:52:07 (5:19 Min./km).
Die
Wendestrecke gab uns Gelegenheit, alle Attraktionen am Weg noch einmal zu
geniessen.
Und nun kosteten wir an einer historischen Verpflegungsstelle auch von den angebotenen Orangenschnitzen. Davon kriegen wir aber beide ein komisches Gefühl im Magen. Ansonsten versorgten mich drei verdünnte Winforce Ultra Energy-Gels sehr gut, während Andi das Gefühl hatte, das in Edinburgh gekaufte High-5-Gel liefere ihm zu wenig Energie.
Und nun kosteten wir an einer historischen Verpflegungsstelle auch von den angebotenen Orangenschnitzen. Davon kriegen wir aber beide ein komisches Gefühl im Magen. Ansonsten versorgten mich drei verdünnte Winforce Ultra Energy-Gels sehr gut, während Andi das Gefühl hatte, das in Edinburgh gekaufte High-5-Gel liefere ihm zu wenig Energie.
Der
Rückweg erschien uns anspruchsvoll. Es brauchte an engen Stellen viel Konzentration
beim Laufen mit Gegenverkehr, wir mussten uns gegen den Wind stemmen, und die
Hügel schienen steiler zu sein als auf dem Hinweg. Viele Läufer legten bergauf
nun Gehpausen ein.
Obwohl es immer wieder tröpfelte und sich der Himmel mit dunklen Wolken bezog, blieb es mit 19 Grad recht warm. Ich nahm jede Gelegenheit wahr, mich zu erfrischen. In regemlässigen Abständen waren Strassenputzfahrzeuge aufgestellt, deren Spritzdüsen zu Duschen umfunktioniert worden waren. Und ein paar Anwohner hatten gar ihre Rasensprenger am Strassenrand installiert.
Ab dem
Bahnhof Sollentuna hatten wir nach 26 zurückgelegten Kilometern wieder mehr
Platz zum Laufen. Wir brauchten nicht mehr so viel Konzentration, uns einen Weg
zu bahnen. Plötzlich wurde Müdigkeit spürbar und wir begannen die Kilometer zu
zählen.
Zum Glück
hatten wir mit der antiken Marathon-Marke von 40.075 Kilometern ein leichter
erreichbares, näheres Zwischenziel. Noch einmal genossen wir das quirlige
Stadtfest in Solna und eine drei Kilometer lange Strecke mit sanftem Gefälle. Dann
zogen sich die Kilometer in bewaldeter Umgebung in die Länge. Hier hatte es
nicht mehr viele Zuschauer. Nur noch selten munterte uns ein „Heja“ auf oder
wurden leidende Läufer mit: „Kom igen – los oder hopp“ angefeuert.
Bei Kilometer
36 sah ich jenseits der Autobahn das Schild „Välkommen till Stockholm“. Dieser
Willkommensgruss tat richtig gut. Andi’s Energiemangel wurde jedoch ernster und
er immer wortkarger. Doch wir konnten unser Tempo halten und bewältigten auch
den letzten happigen Anstieg auf dem 39. Kilometer ohne grossen Geschwindigkeitsverlust.
Nun war aus dem Stadion bereits der Speaker zu hören. Nachdem der Abschnitt auf
dem schnurgeraden Vallhallavägen bewältigt war, konnten wir durchs Hauptportal
in die feierliche Atmosphäre im Stadion eintauchen.
Man hatte
die freie Wahl auf der Bahn rechts herum direkt ins nostalgische Ziel zu
laufen, oder links herum auf der Aussenbahn zu einer Zusatzschlaufe abzubiegen.
Wir wählten die längere Variante, nahmen ein bisschen Vorschuss-Applaus und
Gänsehautfeeling mit auf den Weg, passierten nach 3:32:56 die antike
Marathonmarke von 40.075 Kilometer und verliessen beim folgenden Portal die
Arena wieder.
Hinter dem
Stadion ging ein schmaler Weg in den anderen über. Absperrbänder trennten uns
von den entgegenkommenden Läufern, während wir vom Drottning Sofias väg hinunter
auf den Fiskartorpsvägen und noch weiter hügelabwärts zum Gasverksvägen liefen.
Die entgegenkommenden Läufer sahen mehrheitlich sehr abgekämpft aus, auf ihrem
Rückweg hoch zum Stadion.
Das abwärts Rennen schmerzte, endlich entdeckten wir den ersehnten Wendepunkt und konnten uns ebenfalls auf den Aufstieg machen. Dabei wurden wir von vereinzelten Zuschauern lautstark motiviert. Mit: „Inte långt kvar, det är sista biten, bra jobbat – es ist nicht mehr weit, das ist das letzte Stück, gut gemacht” versuchten sie uns aufzumuntern, und dennoch schien dieser letzte Kilometer endlos. Auch ein Erlebnis-Marathon ist ein Marathon und damit ein forderndes Abenteuer!
Das abwärts Rennen schmerzte, endlich entdeckten wir den ersehnten Wendepunkt und konnten uns ebenfalls auf den Aufstieg machen. Dabei wurden wir von vereinzelten Zuschauern lautstark motiviert. Mit: „Inte långt kvar, det är sista biten, bra jobbat – es ist nicht mehr weit, das ist das letzte Stück, gut gemacht” versuchten sie uns aufzumuntern, und dennoch schien dieser letzte Kilometer endlos. Auch ein Erlebnis-Marathon ist ein Marathon und damit ein forderndes Abenteuer!
Endlich
war es so weit. Diesmal durften wir durch Sofias Portal auf die Innenbahn des
Stadions laufen. Bald folgte das ersehnte 42 Kilometer Schild, und nun
wünschten wir uns fast, die Zeit würde stehen bleiben. Nur noch zweihundert Meter
Gelegenheit, diesen so einmaligen Zieleinlauf und das überaus festliche und
fröhliche Willkommen, welches uns das Publikum bereitete, zu geniessen.
Trotzdem zogen wir einen Endspurt an und liefen vor der königlichen Tribüne jubelnd
Hand in Hand nach 3:43:56 ins Ziel. Fast so gerührt, wie bei unserem ersten
Marathon vor acht Jahren, doch mindestens so dankbar, dass es wieder so gut geklappt
hatte.
Wir
liessen uns die wunderschönen Medaillen um den Hals hängen, und wenige Meter
später mussten wir uns entscheiden, ob wir wie die Läufer vor 100 Jahren mit
einem Glas Sekt auf den Lauf anstossen wollten. An einem weiteren Tisch
wurde alkoholfreier Champagner angeboten,
und wir wählten diese vernünftigere Variante. Mit den schlanken Plastikgläsern
in der Hand blieben wir noch eine Weile im Zielraum stehen und genossen den
Gefühls-Sturm von Freude, Erleichterung, Glück und Dankbarkeit.
Doch dann liessen wir uns mit dem Finisher-Strom mitziehen. Im Ausgangsgewölbe kriegen wir eine Flasche Wasser, Bananen oder Orangen. Dann ging’s eine Treppe hinunter auf den Kunstrasen-Fussballplatz Östermalms Idrottsplats. Diesmal war die Treppe eindeutig besser zu bewältigen als nach unserem ersten Stockholm Marathon, obwohl wir damals 20 Minuten länger unterwegs gewesen waren!
Doch dann liessen wir uns mit dem Finisher-Strom mitziehen. Im Ausgangsgewölbe kriegen wir eine Flasche Wasser, Bananen oder Orangen. Dann ging’s eine Treppe hinunter auf den Kunstrasen-Fussballplatz Östermalms Idrottsplats. Diesmal war die Treppe eindeutig besser zu bewältigen als nach unserem ersten Stockholm Marathon, obwohl wir damals 20 Minuten länger unterwegs gewesen waren!
Genauso wie auf der ganzen Strecke wurden wir auf dem Sportplatz bestens versorgt. Bei der Finisher-Shirt Ausgabe mussten wir nicht anstehen und dahinter bekamen wir einen ausserordentlich reich gefüllten Gabenbeutel. Wir fanden darin eine Banane, Mandeln, Kexchoklad (DIE schwedische Schokoladenwaffel), Maxim Regenerationsdrink samt Energieriegel und eine Büchse Cola. Andi hatte jedoch den Kaffeestand entdeckt, an dem es auch Kanelbullar, die typischen schwedischen Zimtschnecken gab. Eine kurze Weile machten wir es uns mit diesen Energiespendern auf dem Rasenplatz gemütlich.
Da wir vor dem Start hier keine Kleider zum Wechseln abgegeben hatten, wurde uns schnell kühl, und wir spazierten mit erstaunlich wenig schmerzenden Beinen zurück zum Hotel.
Nach einer erfrischenden Dusche war es bereits Zeit zum Nachtessen, und wir fanden nur wenige Schritte vom Hotel entfernt ein stilvolles, italienisches Restaurant „Den Gamle och Havet – der alte Mann und das Meer“, in dem wir unsere leeren Energiespeicher mit feinen Pasta wieder auffüllen und mit einem schwedischen Lättöl (kaum alkoholhaltigem Bier) noch einmal auf dieses geglückte Doppel-Jubiläum anstossen konnten.
Die
offizielle Feier folgte am Sonntag.
Läufer, Begleiter und andere Interessierte waren zum grossen Stadionfest
eingeladen. Beim Eingang wurde der grosse Besucherstrom speditiv mit einem
Paket Pasta- bzw. Lachs-Salat samt Brötchen, Butter, einer Frucht, einem Glas
alkoholfreiem Champagner und Wasser versorgt. Damit konnte man es sich entweder
auf den Tribünen oder vor der Bühne samt Riesenbildschirm an Stehtischen bequem
machen. Erneut ging es sehr festlich zu und her. Sehr viele Besucher hatten
sich mit hundertjähriger Mode gekleidet. Genauso wie am Marathontag trugen alle
Funktionäre weisse Polohemden und Strohhüte, und viele Läufer kauften sich nun
auch eine solche nostalgische Kopfbedeckung als Andenken.
Zweieinhalb Stunden lang gab es ein buntes Nebeneinander von Alt und Neu zu bewundern. Zu Stummfilm-Musik rannten die Athleten von 1912, wie in uralten Filmen typisch, zu schnell über den grossen Bildschirm. Und wir freuten uns über eine lange Aufzeichnung des Jubileums Marathons. Die schnellste Stockholmer Läuferin und der schnellste Läufer wurden geehrt. Und wir wurden mit viel Live-Musik und einer Modeschau unterhalten.
Die 15 am
besten nostalgisch gekleideten Läufer durften auf die Bühne. Den Hauptpreis
gewann eine Amerikanerin, welche sich als ihr eigener Ururgrossvater verkleidet
hatte, welcher 1912 auf den 16. Rang gelaufen war. Bei den Männern erhielt ein Läufer,
der sich einen gezwirbelten Schnurrbart hatte wachsen lassen und in
authentischem schwedischen Sportdress von anno dazumal gelaufen war ein Miniatur-Gold-Olympia-Medaille.
Eine als Zimmermädchen gekleidete Dame und ein Herr in hundertjähriger
Golfer-Ausrüstung kamen auf Platz drei und vier.
Wir
tauschten mit Monîca und Alexandre unsere eigenen Marathon-Erlebnisse des
Vortages aus und machten Pläne, wo wir uns das nächste Mal treffen könnten. Ob
wir jemals nach Brasilien reisen werden, um dort mit ihnen den Halbmarathon bei
den berühmten Wasserfällen von Cataratas zu laufen oder sie wirklich einmal am
Jungfrau-Marathon teilnehmen werden? Als zum Schluss des Festes die Einladung
„Welcome back in 2112“ über den Bildschirm flimmerte, nahmen wir wehmütig
Abschied voneinander und von diesem wirklich einmaligen, aussergewöhnlichen, so
gelungenen und feierlichen Marathon-Event.
Jubileums-Marathon
Stockholm, 3:43:56 / 5:18 Min./km /
Puls ca. 148 / +/- 335 Höhenmeter / 19°
1. Halbmarathon 1:52:07
2. Halbmarathon 1:51:49
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