Andi, Hugo und ich drücken uns in der warmen Eingangshalle des Schulhauses lange vor dem Einlaufen. Und auf der hügeligen Aufwärmrunde "streiten" wir uns, wer heute die langsamste "Schnecke" sein werde.
Andi fehlen wegen des sanften Trainingsaufbaus nach der Leistenbruchoperation die Longruns, er ist erst gestern per Nachtflug aus Dubai heimgekehrt, wo er sich anfangs Woche beim ersten 1000er Intervall in der Sommerhitze der Wüstenstadt einen heftigen Muskelkater eingefangen hatte. Hugo hat kürzlich eine Erkältung überwunden, und mein erstes mühsames Jogging nach drei Wochen Grippe-Pause liegt nur neun Tage zurück ...
Entsprechend der bescheidenen Erwartungen an unsere Form reihen wir uns weit hinten im Startfeld im 21. Block ein.
Wir lassen das Dorf hinter uns, die Strecke führt zwischen die Gemüsefelder hinaus und durch den Wald, der Wind weht uns Regentropfen ins Gesicht, und die Schuhe schmatzen auf den matschigen gelbgrauen Jurakalkwegen, die wie von Erbensuppe bedeckt scheinen. Hugo ist schon über alle Berge ...
Zum Fotografieren bleibt keine Energie (hier geht's zu den Bildern vom letzten Jahr).
Das trübe Regenwetter löscht die Farben der Landschaft aus, die nackten Waden und bunten Outfits unserer Konkurrenten sind bald lehmig gepunktet. Einzigartige Laufstudien werden möglich. Wer schön anferst, ist vom Po bis zu den Fersen gepunktet. Wer energiesparend mit knappem Kniehub im Marathon- oder Ultrastil trabt, kommt mit fast sauberen Beinen davon, und erstaunlicherweise gibt es einige, die sich eine einseitige Verzierung der Rückseite erlaufen.
Der stetige, sanfte Anstieg von etwa 80 Höhenmetern bis zum 6. Kilometer fordert meinen ganzen Einsatz. Der Puls klettert rasch, und je steiler es aufwärts geht, desto störender wird das Gefühl, nicht genügend Luft zu kriegen. Wir schalten einen Gang zurück, "schnecken" mit 5:50 Min./km dahin und werden von ganzen Scharen überholt, bis es endlich steil abwärts geht.
Auf der Strecke zum Stausee Niederried hinunter rollt es ganz gut. Die Kraft wäre nach dem umfangreichen Wintertraining da. Wir erobern mit 4:40 Min./km ein paar Plätze zurück. Mit Alphornklängen und Bratwurstduft werden wir auf die zweiten 7.5 Kilometer geschickt.
Auf dem flachen Abschnitt am Rande des idyllischen Naturschutzgebietes kann ich meinen "Krampf" einen Moment lang vergessen. Die Gedanken schweifen ab. Ich stelle mir vor, wie es wäre, die Sportart zu wechseln, in einem Kanu zu sitzen, gemütlich dem Schilfgürtel entlang zu gleiten, die Wasservögel zu beobachten und dem Teichrohrsänger zu lauschen. Wie sich nach dem Lauf herausstellen wird, hatte Andi an der selben Stelle die selben Gedanken ... (Bild von 2014).
Nun folgt der Golaten-"Stutz" - der Heartbreak Hill - 70 Höhenmeter auf wenigen hundert Metern! "Wie soll ich das schaffen?", frage ich Andi bereits vor dem Anstieg etwas kurzatmig und ratlos . "Wir gehen!", ist sein Rezept! So marschieren wir, mein Herz hämmert trotzdem mit fast 170 Schlägen, mit den ohrenbetäubenden Klängen der Treicheln, die hier geschwungen werden um die Wette. Die kurze Passage türmt sich steil wie eine Wand auf, und als es oben flacher wird, finde ich nur mühsam wieder in einen Jogging-Rhythmus - 7:48 Min. stoppen wir beim 10. Kilometerschild - so langsam war ich hier noch nie!
Andi macht sich Sorgen, dass ich so sehr nach Luft ringe und schlägt vor, ich solle doch den Lauf hier beenden. Doch ich bin überzeugt, dass es mir auf den letzten vier stetig abwärts führenden Kilometern wieder besser gehen werde. Bis dahin liegt auch nur noch ein kleines Hügelchen im Weg, und in der Regenkälte in T-Shirt und kurzen Hosen zurück zum Start zu marschieren scheint der Gesundheit weniger zuträglich als weiterzulaufen.
Tatsächlich rollt es abwärts durch den Hubelwald ganz passabel, wenn auch Andi beim Runterlaufen seinen Muskelkater überdeutlich spürt! Von der Waldhütte her klingen uns Blechmusik und Applaus entgegen. Diese Aufmunterung trägt uns über das letzte Stück matschigen Naturweg zur Teerstrasse, die zurück ins Dorf führt.
Noch zwei Kilometer! Überrascht stellen wir fest, dass wir "erst" 1:11 Stunden unterwegs sind - die 1:23 werden wir ganz sicher unterbieten! Die unerwartete Zwischenbilanz lässt uns gar einen sanften Endspurt anziehen, so geht es mit 5:00er Pace dem Ziel entgegen.
Im Zielraum hängt das Werbe-Banner des Karikaturisten Walter Hollenstein. Es zeigt treffend die Höhen und Tiefen meines Laufes. Obwohl ich stellenweise keuchend unterwegs war, die Füsse an den Anstiegen ziegelsteinschwer schienen, so konnte ich den Gedanken an eine Wunschzeit nicht wegschieben, und auch die Aussicht auf einen Bratwurst-Schmaus trieb mich voran.
Auch die lätti runners sind über sich hinausgewachsen, haben Zeiten zwischen 1:12 und 1:19 realisiert, Lenka und Dario pulverisierten ihre Bestzeit gar minutenweise.
So schmecken Zielbratwurst, Pommes und ein feines Bier beim Erzählen unserer Laufgeschichten einfach köstlich, obwohl die Füsse in nassen Joggingschuhen stecken und der Regen wie Bindfäden vom Dach des Festzeltes tropft.
Zufrieden mit dem Tag hänge ich die neue Kerzerslauf-Medaille an die Pinnwand und gönne mir eine ausgiebige heisse Dusche.
5:27 Min./km / Puls 163
+/- 180 hm / 9° leichter Regen, 13 km/h WNW-Wind
Track https://connect.garmin.com/modern/activity/725329623
Sehr cooler Lauf! Und eine ordentliche Zeit!
AntwortenLöschenJa, er ist attraktiv, abwechslungsreich und anspruchsvoll der Kezererslauf - und so nah, dass es schwer ist, darauf zu verzichten!
LöschenAn der Zeit gibts wegen der kürzlich durchgemachten Grippe nichts zu mäkeln - wenn ich auch vor 2 Jahren 14 Minuten (!) schneller war ;-)
Liebe Marianne,
AntwortenLöschenein wenig müsste ich mit Dir schimpfen, Dich nach Deiner schweren Grippe so zu verausgaben... japsend um Kerzers herum zu jagen...
Aber andererseits freue ich mich mit Dir und Andi und Hugo über den dennoch gelungenen Lauf. Aber nun mach bitte wieder etwas vorsichtiger!
Liebe Grüße
Elke
Liebe Elke
LöschenSchimpf nur - du hast ja auch Recht! Dass das hügelige Profil des Kerzerslauf an den Bergweg des JMT erinnern würde, hatte ich nicht erwartet ...
Diese Woche nehmen wir es beim Einstieg in den Marathon-Plan deutlich gemütlicher als je ;-)
Liebe Grüsse
Marianne