Esther, Peter, Andi, ich, Hugo |
Am Sonntag machten wir uns ohne Überkleider zum
Start auf. Um neun Uhr war es bereits 15 Grad warm und wolkenlos sonnig.
Hochsommer-Runningoutfit-Wetter!
Die Grösse des Edinburgh Marathons erstaunte uns.
Auf der London und Regent Road machten sich über 11'000 Läufer für den Start
bereit. Nach kurzem Einlaufen wünschten wir einander Glück. Esther und Peter
planten einen Plausch-Halbmarathon zu laufen, und Andi, Hugo und ich, stellten
uns etwas weiter vorne ins Feld der Marathonis. Es herrschte überhaupt kein
Gedränge. Die Briten sind tatsächlich Meister im Anstehen!
Bis zum Start dauerte es fünf Minuten länger als
geplant. Trotz unseren ambitionierten Plänen blieb mein Puls ganz ruhig. Andi
und ich strebten beide neue Bestzeiten an. Andi hoffte, unter 3 Stunden und 15
Minuten ins Ziel zu kommen. Auf dem Pace-Band an meinem Handgelenk stand der
Marschplan für eine Zeit zwischen 3:22:30 und 3:18:55 (4:48 - 4:43 Min/km). Und
ich fragte mich, ob es trotz der Wärme DER Marathon Tag werden könnte?
Überraschend verkündete der Speaker: „30 Sekunden
bis zum Start!“ Schon ertönte der Startschuss, und kurz nach 9:55 Uhr
liefen wir über die Startlinie. Auf den ersten paar hundert Metern floss der
Läuferstrom träge auf der London Road dahin. Dann führte die Strecke leicht
abwärts zum ultramodernen Parlamentsgebäude und dem Holyrood Palace, in dem die
Queen bei ihren Besuchen in Edinburgh residiert.
Ich fragte mich, ob ich zu schnell losgelaufen war.
Die Garmin zeigte bereits 4:45 Min./km an, und Andi, der doch wesentlich
schneller laufen wollte als ich, war immer noch nur wenige Meter vor mir zu
sehen!? Mein Tachometer – die Pulsuhr – gab mit Werten um 140 jedoch grünes
Licht!
Ich liess es rollen und versuchte, möglichst viele
Eindrücke von der Strecke zu sammeln. Hügelauf und hügelab ging es von der
Innenstadt zum Holyrood Park am Fusse des eindrücklichen Vulkanhügels Arthurs
Seat, an dessen Hängen der Ginster gelb blühte. Während wir an einem kleinen
Loch (schottisch = See) und am Stadion vorbeiliefen, hatte ich Andi längst aus
den Augen verloren. Das Aufwärts-Rennen fühlte sich etwas mühsam an, doch ich
liess mich nicht beirren, sondern von der Pulsuhr leiten. Schliesslich
konnten wir abwärts, entlang von grossen Parks der Hafenstadt Leith
entgegen laufen. Ich freute mich darauf, ans Meer zu gelangen und fragte mich,
wie stark uns der angesagte Gegenwind tatsächlich fordern würde.
Nach neun Kilometern wurde die Strecke endlich
flach. Wir bogen auf die Promenade von Portobello ein und liefen mehrere
Kilometer direkt am Meer. Der Gegenwind war weniger stark als erwartet und
bremste uns kaum. Im Gegenteil, ich war froh um das bisschen Kühlung, das er
bot. Die Sonne brannte schon sehr intensiv auf uns nieder, und am Strand
genossen viele Menschen den strahlend schönen Sommertag.
Die 10 Kilometer-Marke folgte – 47:06 – vier
Sekunden schneller als für mein ambitioniertes Traumziel nötig gewesen wäre.
Die Pulsuhr lieferte weiterhin erfreulich tiefe Werte. Ich war optimistisch,
dass ich mein Ziel würde erreichen können. Und die Strategie schien einfach.
Ich nahm mir vor, das Rennen weiterzulaufen, als ob ich mit Tempomat unterwegs
wäre. Doch ein kleines bisschen beunruhigte mich die hintere
Oberschenkelmuskulatur, die sich nicht ganz locker anfühlte…
Mit wacheren Sinnen als beim letzten Marathon konnte
ich die schöne Umgebung geniessen und die vielfältigen Aufschriften auf den
Shirts meiner Mitläufer studieren. Viele waren Spenden sammelnd unterwegs und
liefen zum Beispiel für die Krebsforschung, herzkranke Kinder oder für die
Ausbildung von Blindenhunden. Der Applaus des Publikums war ihnen sicher,
genauso wie dem Schotten, der im echten, wollenen, schweren Kilt unterwegs war.
Die Landschaft um Edinburgh war durchwegs sehenswert
und eindrücklich. Wir liefen durch gepflegte Städtchen mit typischen
Reihenhäusern und kleinen Vorgärten. Und ab und zu war der Blick frei auf die
Küste und das markante Kohlekraftwerk, das knapp die Hälfte der Strecke
markierte. Es wurde nie langweilig. Aber immer wärmer. Offiziell bis 23 Grad im Schatten. An windstillen Ecken schien es eher gegen 30 Grad heiss zu sein! Und die Herzfrequenz kletterte nun schneller, als mir lieb war.
Nach 1:39:33 lag auf dem Weg zum kleinen Hafen von Port Seaton eine unscheinbare Zeitmessmatte. Kein bunter, aufgeblasener Bogen, kein Publikum, nur ein schwaches „Piep“... vorbei war der erste HALBMARATHON. Ein kurzer Blick auf‘s Paceband liess mich diesen Moment doch etwas feiern (1:39:31 bis 1:41:16 hatte ich geplant, bis hierhin zu laufen). Und ich hoffte, dass ich die Geschwindigkeit trotz nun etwas zu hohem Puls noch einmal 21 Kilometer würde durchhalten können.
Nach 1:39:33 lag auf dem Weg zum kleinen Hafen von Port Seaton eine unscheinbare Zeitmessmatte. Kein bunter, aufgeblasener Bogen, kein Publikum, nur ein schwaches „Piep“... vorbei war der erste HALBMARATHON. Ein kurzer Blick auf‘s Paceband liess mich diesen Moment doch etwas feiern (1:39:31 bis 1:41:16 hatte ich geplant, bis hierhin zu laufen). Und ich hoffte, dass ich die Geschwindigkeit trotz nun etwas zu hohem Puls noch einmal 21 Kilometer würde durchhalten können.
Nun ging’s durch weniger besiedelte Gegenden. Es
folgten Golf- und Campingplätze und der Fernyness Wood Wald, den man sich
eher als dichtes Gebüsch vorstellen muss. Wir fanden hier zwar ab und zu etwas
Schatten. Doch es war windstill und sehr warm. Die Strecke verlief nun in sanften
Wellen, die aber kaum mehr als fünf Höhenmeter pro Kilometer aufwiesen.
Das Feedback, welches die Garmin lieferte, erstaunte
und erfreute mich zugleich: 4:46 / 4:42 / 4:44 / 4:44 / 4:44 / 4:45 / 4:46 /
4:45 Min./km. Es rollte einfach genial gut! Und es war mir gelungen, den
Tempomat einzustellen, obwohl sich meine Beine nicht mehr ganz frisch anfühlten.
Die Strategie, mit der Wärme zurechtzukommen, schien
aufzugehen und die gewählte Pace die Richtige zu sein. Ich begoss mich bei
jeder Verpflegungsstelle grosszügig von oben bis unten mit Wasser und achtete
darauf genug zu trinken. Etwa alle fünf Kilometer wurden wir versorgt. Typisch schottisch sparsam gab es bis Meile 16
(ca. 26 Kilometer) nur Wasser. Ab Kilometer 15 nahm ich etwa alle 20 Minuten einen
Schluck verdünntes Winforce-Gel, das ich bei mir trug. Damit das süsse Zeug
besser rutschte, lutschte ich dazu eine Salztablette. Das half mir auch dabei
genug zu trinken. Ich blieb von Krämpfen verschont, und der Magen verhielt sich
ruhig.
Ein paar Kilometer vor dem Wendepunkt hatte die
Natur ein ganz besonderes Schauspiel für uns bereit. Trotz strahlendem Sonnenschein lag eine mystische Nebelbank über der Bucht des breiten
Fjordes Firth of Forth und hüllte Meer und Horizont teilweise ein. Ein Anblick,
welcher einen Moment ablenkte und sehr beruhigend wirkte.
Wir erreichten den Landsitz von Gosford House, auf
dessen Grundstück sich der Wendepunkt (Meile 18 = Kilometer 29) befand. Durch
ein grosses Steintor bogen wir auf einen Weg mit grobem Kies ab. Das Laufen
wurde sofort mühsamer, obwohl wir zuerst durch ein schattiges Wäldchen geführt
wurden. Darauf verlief der Kurs entlang von Gewächshäusern und Stallungen. Das
Herrenhaus nahm ich nur kurz aus dem Augenwinkel heraus wahr. Zu sehr war
ich mit dem schlechten Laufgefühl beschäftigt. Und es wurde immer heisser. Ich
wünschte mir nichts mehr, als möglichst bald zurück auf die Landstrasse und
vernünftigen Untergrund zu kommen. Und ich war enttäuscht, dass der Wind, der
uns bisher entgegengeblasen hatte, sich immer noch als Gegenwind anfühlte. Er
schien gedreht zu haben!
Ich ermahnte mich zu positivem Denken. Immerhin
waren 30 Kilometer bewältigt, als wir aus dem Tor des Landsitzes herausliefen.
Und auf der Strasse rollte es wieder wie gewohnt. Ich schaute kaum mehr auf die
Uhr und beachtete das Paceband auch nicht mehr. Der Puls schien nicht mehr zu
steigen, und ich konnte meinem Gefühl vertrauen. Denn die Garmin
bestätigte ab dem 31. Kilometer unglaublich regelmässige Zwischenzeiten - 4:45
/ 4:45 / 4:45 / 4:45 / 4:45 / 4:47 / 4:45 Min./km!!! Da wurde mir
bewusst, dass ich sehr wahrscheinlich zu einer ganz genialen neuen PB unterwegs
war!
Trotzdem brauchte es immer grösseren Willen dran zu
bleiben und die Pace zu halten. Mit 165 Schlägen/Min. war der Puls zwar noch
recht tief, trotz der Wärme. Aber plötzlich begann die zweite Zehe am linken
Fuss extrem zu schmerzen. Das konnte nicht nur eine Falte in der Socke sein!?
Ich versuchte den Fuss in einem anderen Winkel aufzusetzen. Doch es dauerte
mehrere Kilometer, bis der Schmerz etwas nachliess. Zudem schien die vom Hinweg
bekannte Strecke auf dem Rückweg viel länger zu sein.
Doch das Publikum lenkte von negativen Gedanken ab.
Die Unterstützung war genial! Viele hatten private Verpflegungsstellen errichtet,
reichten Gummibärchen oder frische Erdbeeren zur Stärkung (ich wagte aber
nicht davon zu kosten). Einige hatten ihre Gartenschläuche ausgerollt und boten uns nun etwas Kühlung! Kinder machten sich ein Spiel daraus, die Läufer mit
Wasserpistolen “abzuschiessen”, und wir freuten uns über die Erfrischung!
Ab Kilometer 37 musste ich doch etwas kämpfen. Ich
versuchte das Tempo zu halten, aber auch Herz- und Kreislauf nicht zu sehr zu fordern.
„Dranbleiben und ziehen“, wurde zu meinem Mantra. Ich wünschte mir die Pferderennbahn
von Musselburgh, welche den 40. Kilometer markierte sehnlichst herbei. Die
hinteren Oberschenkel waren nun so müde und verspannt, dass ich trotz grösstem
Willen die Schritte lang zu ziehen, leicht langsamer wurde - 4:52 / 4:50 / 4:47
/ 4:50 Min./km.
Ich versuchte die gute Stimmung, die das Publikum
verbreitete, aufzunehmen, klatschte Kinderhändchen ab und saugte den Applaus in
mir auf. So gelang es auf dem 42. Kilometer das Tempo zu halten.
Was für eine Erleichterung, als wir endlich auf den riesigen
Sportplatz der Pinkie Saint Peters Primarschule abbiegen konnten. Der blaue
Zielbogen war nicht mehr weit. Doch oh weh! Der Weg ins Ziel führte über eine unebene
Wiese, welche mit dicken, schwarzen Gummimatten belegt war. Die ganze Energie
schien direkt in der weichen Unterlage zu verpuffen, und die letzten Schritte
waren unglaublich mühsam – und gleichzeitig so einmalig, so besonders, ein
Fest!!!
Ich versuchte den Zieleinlauf ganz bewusst zu
geniessen. Aus den Lautsprechern dröhnte der Ohrwurm „Hello“, und ich werde die
Worte der Speakerin nie vergessen: „Willkommen im Ziel “Guys”, in einer
sensationellen Zeit von 3:21, ihr könnt mit euch sehr, sehr zufrieden sein!“
Jubelnd erreichte ich das Ziel, und da meine Uhr gar
nur 3:20:24 (4:45 Min/km) anzeigte, war ich einfach unbeschreiblich glücklich!!!
Ich hatte trotz der Wärme meine alte Bestzeit vom
letzten November um fast sieben Minuten unterboten! War mir DER perfekte Lauf gelungen, von
dem man immer träumt?!
Gleich hinter dem Ziel warteten Andi und Hugo.
Andi war ebenfalls ein regelmässiger Lauf zu 3:13:58 und damit eine PB
Verbesserung von fünf Minuten gelungen. Wir tauschten erste Gratulationen aus.
Dann humpelte
ich barfuss mit den beiden an den Rand eines grossen Rasenplatzes, wo wir uns
ausruhen und umziehen wollten. Der Nagel der schmerzenden Zehe war total
blutunterlaufen.
Erstaunt darüber, in Schottland an der Sommersonne
im Gras sitzen zu können ohne zu frieren, berichteten wir einander ausgiebig
von unseren Erlebnissen. Dann hatten wir uns so gut erholt, dass wir den zwei Kilometer langen Fussmarsch zum Busparkplatz gut bewältigen konnten, von dem
aus uns ein Doppeldeckerbus zurück in die Stadt brachte.
Und nach einer erfrischenden Dusche und einem Imbiss
samt kühlem Bier in der Hotellobby waren wir bereit für einen weiteren
Stadtbummel die High Street hinan zur Witchery, wo wir den unvergesslichen Marathon-Tag und etwas verspätet Andis runden Geburtstag feierten.
Am folgenden Tag entdeckte ich per Zufall in meinem
persönlichen Daten-Account beim Edinburgh Marathon, dass ich in meiner Kategorie 3. geworden war. Leider fehlt bis heute eine vollständige Rangliste,
anhand derer wir unsere Leistungen einordnen könnten. Offiziell kann man nur
den Overall-Rang abfragen. Andi lief als 365. Läufer von 11‘266 Finishern ein,
und ich belegte Rang 534. Aber da ich nur gegen die Uhr und mich selber laufe,
ist das ja nicht so wichtig – und ich hatte bei diesem Riesenfeld an Läufern
auch nie mit einem Podestplatz gerechnet…
Edinburgh Marathon / 3:20:24 / 4:45 Min./km / Puls 159 / + 50 Höhenmeter
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