Sonntag, 28. April 2013

Düsseldorf Marathon 2013

Vor dem Start

In der Nacht vor dem Düsseldorf Marathon finde ich lange keine Ruhe. Die Startnummer liegt auf dem Nachttisch. Sie trägt einen roten Punkt. Eigenartigerweise soll ich aus dem vordersten Startblock starten und Andi aus dem zweiten. Laut unseren Bestzeiten gehören wir beide in diesen.
Mitten unter den schnellen Läufern wird es nicht einfach werden, auf dem ersten Kilometer die richtige Geschwindigkeit zu finden - zumal ich mich immer noch frage, welches die richtige Pace sein wird?!?


Trotz Pace-Band ist mir nicht klar, wie ich diesen Lauf gestalten soll. Das Traum-Ziel einer neuen Bestzeit - im Idealfall gar schneller als 3:20 Stunden zu laufen - scheint unerreichbar (zu viele Hürden in den 11 Vorbereitungs-Wochen - strenger Winter - Schulterschmerzen - "Viren-Abwehrarbeit"). Hoffentlich wird mir mein 2. bester Marathon gelingen (schneller als 3:27:12 Stunden)... 

Wir fühlen uns nicht so fit wie vor einem Jahr in Edinburgh. Sollten wir wohl besser einen gemütlichen Marathon laufen? Mit dem Fotoapparat in der Hand Erlebnisse sammeln? 

Nein, es wäre schade um all die hart errungenen Wintertrainings, die vielen Kilometer bei Kälte, Eis, Wind, Dunkelheit oder Regen! Wir müssen versuchen, dass Allerbeste daraus zu machen! Vielleicht verleiht uns das kühle Wetter gar überraschend Flügel, wie beim Kerzerslauf im März? 
Andis Erkältung ist überwunden. Er will unbedingt den Versuch wagen, seine 2. beste Marathonzeit (3:19:04) zu unterbieten.

Bevor ich das Licht lösche, kritzle ich noch die Zwischenzeiten meines PB-Laufes von Edinburgh auf den Arm (eine Pace von 4:45 Min./km - hart aber wohl nicht ganz unmöglich?). Schlussendlich wird der Pulsmesser ein gewichtiges Wort mitzureden haben... 
Ich hab Herzklopfen und sinke erst gegen Mitternacht in einen unruhigen Schlaf.


Bis zum Start haben wir viel Zeit. Wir stärken uns auf dem Zimmer mit dem gewohnten Marathon-Frühstück und trinken in der Hotelbar Tee.

Das Thermometer am Eingang zeigt nur 4° an. Doch die Sonne scheint, und der Wind hat etwas nachgelassen. Nach langem Überlegen ziehe ich nur ein Träger-Shirt und kurze Hosen an. Für die ersten Kilometer rüste ich mich aber mit Ärmlingen, Stirnband und Handschuhen.

Der Startbereich ist keinen Kilometer vom Hotel entfernt. Über verträumte Brücken und verschlungene Wege laufen wir durch den Hofgarten ein. Mit unseren Beinen ist über Nacht leider kein Wunder passiert. Das Laufgefühl ist nicht überwältigend und der Puls eher hoch.

Ein erstaunlich grosses Feld von Handbikern ist bereit für ihre Wettfahrt, als wir den Startbogen bei der Rheinterrasse erreichen. Mit viel Applaus und angefeuert durch eine Cheerleader-Gruppe werden sie um 8:45 Uhr auf die Strecke geschickt. 

Fünf Minuten später fällt der Startschuss für den Einrad-Marathon, eine europaweit einzigartige Veranstaltung. Vom gigantischen Hochrad bis zum Renngefährt mit Triathlon-Lenker vor dem Sattel gibt es die unterschiedlichsten Sport-Geräte zu bewundern. 

Es dauert nicht lange, bis die relativ kleine Gruppe von etwa 3'000 Marathon-Läufern - darunter mehr als 80 % Männer - auf der breiten Uferallee bereit steht. Im roten Startfeld fühle ich mich verloren. Ich stelle mich ganz zu hinterst ein und sehe doch kaum eine andere Frau. Kurz vor dem Start werden die Trennbänder zwischen den Startblöcken entfernt. Die Läufer rücken zusammen. Ich bleibe stehen, lande doch noch in Andi's Block und entdecke ihn samt 3:15-Pace-Maker einige Meter hinter mir.

Start und erste Schlaufe bis km 10

Um 9 Uhr geht es los. Auf der breiten Cecilienallee gibt es schnell Platz genug für alle. Wir laufen entlang der grossen Grünfläche des Rheinparks nordwärts. Ich gebe mir Mühe, nicht vom Sog der anderen Läufer mitgerissen zu werden. Nach einem Kilometer stoppe ich auf die Sekunde genau 4:45 Minuten. 
Die Traube um die Pace-Maker mit den 3:15er Ballons überholt mich im Schnellzugtempo. Ich bleibe auf der Bremse und suche nach einem Läufer mit der selben Geschwindigkeit, um mich hinter seinem Rücken vor dem eisigen Nordwind zu verstecken. 

Der Puls klettert wie erwartet schnell. Trotz Gegenwind wird mir warm. Ärmlinge, Stirnband und Handschuhe stören mich. Ich versorge sie, um den Kopf frei zu haben für's Laufen. Genau wie bei den letzten Trainings läuft es nicht von selbst. Ich gleite nicht leichtfüssig dahin, wie in Edinburgh. Und doch muss ich aufpassen, nicht zu schnell zu werden. 

Wir erreichen das Messegelände und absolvieren auf dem 4. Kilometer eine Wendeschlaufe. Andi überholt mich. Wir wechseln ein paar Worte. Sein Puls will ihm auch nicht recht gefallen. Unserer Strategie, dass jeder sein eigenes Rennen laufe, bleiben wir aber treu. Wir wünschen uns nochmals Glück und mahnen einander zur Vernunft. Schon ist er vor mir im Läufer-Tausendfüssler verschwunden.

Es geht entlang des Nordparks. Zwei riesige Granitskulpturen - die "Rossebändiger", Mann und Pferd aus jeweis über 55 m3 Granit - fallen mir auf. 
Viele Eindrücke von der Strecke bleiben heute aber nicht hängen. Das Laufen fordert die ganze Konzentration: atmen, entspannen, Puls und Pace im Auge behalten und dranbleiben am Läufer vor mir. Ich lasse mich ziehen. Den 5. Kilometer erreiche ich 13 Sekunden schneller als geplant, doch der Puls ist nur einen Schlag zu hoch geklettert.

Dass wir wieder zum Rheinpark zurückkehren und zwei Kilometer auf der selben Strecke Richtung Ziel zurücklaufen, nehme ich nicht wahr. Erst als wir nach neun Kilometern den Hofgarten in der Nähe unseres Hotels erreichen, wird mir bewusst, wo wir sind. 


Es geht dem schönen Park entlang, in dem die Wildkaninchen wohnen. Dann laufen wir auf der Hofgartenrampe zur berüchtigten Oberkasseler Brücke hoch. Ich nehme die Steigung vorsichtig in Angriff und will die anfangs zu schnell gelaufenen Sekunden wieder einhalten.

Hier kommt Tour de France Feeling auf. Das Publikum steht dicht gedrängt. Applaus, Zuspruch und lautes Lärmen mit Ratschen trägt uns am runden Backsteingebäude der Tonhalle vorbei auf die Brücke. Da liegt die 10-Kilometer-Messmatte, welche ich nach 47:34 Minuten passiere - fast haargenau mit einer Durchschnittspace von 4:45 Minuten pro Kilometer. 

Schlaufe hinüber nach Oberkassel und zurück bis zum Halbmarathon

Die Brückenkuppe zwischen den hohen Pfeilern ist schnell erreicht - der Buckel in der Strecke einfacher bewältigt als erwartet. Ich kann die Aussicht über den Rhein bis zum Fernmeldeturm geniessen. Bei Sonnenschein und stahlblauem Himmel ist sie wunderschön. Und auf der Festwiese weiden immer noch die vielen Schafe.

Schnurgerade geht es von der Brücke runter auf der Luegallee nach Oberkassel hinein. Zwischen den eindrücklichen, weissen und pastellfarbenen Häuserfassaden nehmen die Düsseldorfer ihren Marathon als Gelegenheit zu einem Strassenfest. Samba-Bands und Trommler-Gruppen verbreiten Stimmung und beflügeln unsere Schritte. Nach dem Barbarossaplatz wird es ruhiger. Ohne Applaus müssen wir aber kaum je auskommen. Auf der Schlaufe durch den Stadtteil jenseits des Rheins jubeln uns die Zuschauer von Balkons aus zu, oder bieten uns private Versorgungsstellen an.  

Ich habe meine eigene Trink- und Gelflasche dabei, bin aber froh um die fleissigen Hände, die uns Wasserbecher reichen. Obwohl das Thermometer kaum auf 10° klettert und ein kalter Wind durch die Gassen streicht, ist mir so warm, dass ich regelmässig Wasser über den Kopf, die Schultern und die Oberschenkel giesse.

An den Verpflegungsstellen verliere ich oft meine Pace-Maker, die vor dem Wind schützenden, breiten Männerrücken. Selber muss ich nur selten verlangsamen und meine Flasche neu auffüllen. Immer wieder laufe ich alleine. Die Läuferperlenkette zieht sich weit auseinander, und es kostet immer mehr Mühe, die Lücke zum nächsten Grüppchen wieder zu schliessen. Frauen scheinen bei diesem Marathon keine mitzulaufen...

Kilometer 15 erreiche ich nach 1:11:21 Stunden. Die 4:45 Min./km Pace lässt sich knapp halten. Der Puls ist mit 164 bis 165 zwar höher als beim Bestzeiten-Marathon vor einem Jahr. Ich habe das heute erwartet und nehme es in Kauf. Und ich hoffe, es werde ähnlich gut weiter laufen, wie beim Marathon in Riga, den ich 2011 bei aussergewöhnlicher Mai-Wärme mit 165 Durchschnittspuls bewältigt hatte, ohne auf der zweiten Hälfte wesentlich langsamer zu werden. 


Unter der Theodor-Heuss-Brücke hindurch (auf dem Bild vom Samstag die nördlichste Brücke) erreichen wir Niederkassel. Rechts gäbe es stattliche Häuser zu bewundern. Links der Strasse erstrecken sich Schrebergärten bis fast zum Wasser. Das Publikum steht wieder dichter. Ich nehme mir Zeit, erwartungsvoll ausgestreckte Kinderhände abzuklatschen. 

Doch eigentlich habe ich fast nur Augen für das leucht-gelbe Shirt vor mir. "Lauffeuer" steht aufgedruckt. Ich will diesen Fixpunkt im Strom der Marathonis nicht wieder verlieren. Dieser Läufer hat einen angenehmen Rhythmus. Er wirkt routiniert und scheint nicht am Limit zu laufen, obwohl viele Schweissperlen auf seinem Nacken glänzen. Ich bin froh, dass ich erneut zu ihm aufschliessen konnte, hoffe ihn nicht zu stören und ihm nicht auf die Fersen zu treten. 

Über uns schwingt sich die Oberkasseler-Brücke über den Rhein. Jetzt sehen wir die Schafherde aus der Nähe. Bald laufen wir zwischen den Häusern auf Samba-Klänge zu und nehmen Anlauf zur zweiten Brücken-Überquerung. Die Brückenpfeiler vor uns scheinen gigantisch hoch. Von dieser Seite her ist der Anstieg etwas höher und steiler. Der 20. Kilometer schlägt mit 5:02 Minuten zu Buche. 

Schön geht's am Hofgarten vorbei bis zum Halbmarathon abwärts. Ein älterer, rot gekleideter Speaker unterhält Publikum und Läufer vor dem roten Halbmarathon-Bogen mit ununterbrochenem Redefluss. Er liest auch meine Startnummer vor und bekommt offenbar sofort Namen und weitere Informationen nachgeliefert:" Da erreicht Marianne Niemack aus der Schweiz den Halbmarathon - sie läuft zusammen mit ihrem Bruder!" Ich muss laut auflachen!
1:40:43 Stunden zeigt die Uhr unter dem Halbmarathon-Bogen an (Pace 4:46 Min./km). Ich liege nur eine halbe Minute hinter meinem ambitionierten Plan zurück. Wie es wohl meinem "Bruder" geht? 
 

Schlaufe in den Nordosten der Stadt bis km 30

Die Läuferschlange wird Richtung Norden geführt. Abseits der Sehenswürdigkeiten laufen wir durch Wohngegenden. Die Strecke ist nun leicht wellig, und bei diesem Tempo ist jeder Höhenmeter spürbar. 

Ich versinke total in meiner Konzentration auf's Laufen. Ein eigenartiges Gefühl stellt sich ein. Die Geschwindigkeit zu halten ist eine grosse Herausforderung, mein Herz hämmert mit 167 Schlägen pro Minute so intensiv, wie bei einem 10 Kilometer Wettkampf. Und die Beine laufen nicht von selber. Sie tun aber nicht weh, fühlen sich einfach etwas schwer an. Ob ich es schaffen werde, nicht über die Grenze zu gehen? 

Eigentlich geht es mir ganz gut! Erstaunlicherweise ziehen die Kilometer wie im Fluge vorbei - 22, 23... 25 - und die Pace bleibt regelmässig zwischen 4:43 und 4:49 Min./km.
Der dritte von vier zu bewältigenden "Hügeln" taucht auf. Über eine weitere Brücke mit hohen, schlanken Pfeilern laufen wir auf dem 26. Kilometern über die Bahnlinie, während ein Schnellzug vorbei braust. 
Am Brehmplatz begegnen wir darauf den Läufern, die bereits 30 km geschafft haben. Die doppelte Läuferschlange ist ein Publikumsmagnet. Wir nehmen den Applaus dankbar mit auf unsere eigene Drei-Kilometer-Schlaufe.

Jetzt bin ich gespannt auf die "Aluminium Meile". In der Fritz Wüst Strasse sollen die Anwohner und die Angestellten der Firma Trimet eine grosse Streckenparty ausrichten, um den Erlös der "Aktion Lichtblicke" zu spenden. 
Tatsächlich - beim Einbiegen grüsst uns ein grosses, motivierendes, über die Strasse gespanntes Banner: "SUPER, Ihr schafft es! - Eure Fritz Wüst Strasse". Musik klingt uns entgegen. Die Zuschauer stehen mehrreihig. Der Applaus verursacht Gänsehaut. Es duftet nach Gegrilltem, wir werden mit Wasser versorgt, und vor lauter Aufregung bemerke ich nicht, dass ich ein Kilometerschild verpasse. 

Ich hab sowieso aufgehört, ständig auf die Uhr zu schauen. Die Garmin misst die Kilometer offenbar zu kurz, und ob die Schilder immer richtig stehen? 
Ich lasse mich vom Gefühl leiten, versuche die Intensität gleichmässig zu halten und an der Grenze des Möglichen zu laufen. Die Konzentration liegt beim Atem, der nun die Laufgeschwindigkeit steuert. Solange dieser unverkrampft im Rhythmus 3:2 fliesst, fühle ich mich wohl (3 Schritte lang ausatmen, 2 Schritte lang einatmen).  
Der Puls klettert nicht weiter als bis 168, und bei Kilometer 30 stelle ich erfreut fest, dass ich mit 2:23:45 Stunden bisher nur gut eine Minute auf den PB-Plan eingebüsst habe.

Schlaufe nach Süden zum Hafen und bis in Ziel

Um unsere Gesundheit ist man besonders bedacht. Auf jedem einzelnen Kilometer steht ein Erste Hilfe Posten. Nach Kilometer 16 und 30 gibt es gar einen Diabetes Point. Zuckerkranke Läufer können den Blutzucker kontrollieren lassen und schnell wirksame Kohlenhydrate tanken, um sicher zu gehen, keine gefährliche Unterzuckerung zu erleiden. 

Meine Energiezufuhr klappt heute ganz gut. Etwa alle drei Kilometer nehme ich von meinem verdünnten Winforce-Gel. Es rutscht nicht schlecht, besonders wenn ich dazu Salztabletten lutsche und gründlich mit Wasser nachspüle. Der Magen bleibt ruhig, das Herz stolpert nicht, und die Beine zeigen nicht die geringsten Anzeichen von Krämpfen, obwohl sie schon sehr müde sind. 

Ich werde einen Hauch langsamer. Die Pace tendiert zu 4:50 - 4:55 Min./km., ohne dass der Eindruck entsteht, die Kilometer würden sich träge dahinziehen.  

Kilometer 32 hält die letzte Bahnüberführung und den sanftesten der deutlichen Anstiege bereit. Auf dem 34. Kilometer fällt am Platz der Deutschen Einheit ein Brunnen mit einer spiegelnden Skulptur aus Metall-Dreiecken auf. Und eine weitere der 17 Samba-Bands treibt uns mit Energie spendenden Rhythmen an.  
Ich laufe wie im Traum, oft alleine, im eigenen Takt. Kein anderer Läufer läuft konstant die passende Geschwindigkeit. 
Es wird immer wärmer und anstrengender. Ab und zu tauche ich meinen Sonnenschild in die bereit stehenden Schwamm-Becken. Zum Glück kommt trotz grenzwertiger Belastung nie das Gefühl auf, gegen eine Wand zu laufen.  

Das nächste Zwischenziel motiviert mich dranzubleiben. Der Hafen zieht mich magisch an. Kilometer 36 führt unter der  Rheinkniebrücke hindurch. Ich kann es kaum erwarten, endlich das neue Wahrzeichen von Düsseldorf aus der Nähe zu sehen - die wortwörtlich schrägen Bauten des kalifornischen Architekten Frank Gehry.


Zuerst laufen wir über einen grossen, gelben Punkt. Wie eine Sonne leuchtet er auf dem schwarzen Asphalt. "Noch 5 km" steht darauf - ein Aufsteller - 5 Kilometer, das schaffe ich!

Dann erreiche ich endlich den Neuen Zollhof. Schon beim Betrachten in Ruhe muss einem schwindlig werden. Und erst recht mit über 37 Marathon-Kilometern in den Beinen und glühend heissem Kopf!
In der glänzenden, geschwungenen Fassade des mittleren Gebäudes spiegeln sich die kippenden Wände, die schiefen Türme und verkanteten Fenster des roten und weissen Hausteils. Das wahre Leben soll diese bewegte Architektur wiederspiegeln und ausdrücken, dass nichts geradlinig verläuft.

Hinter den Gehry-Bauten schwingt sich der schlanke Rheinturm in den blauen Himmel - welch atemberaubendes, faszinierendes Bild!


Die "blue line" des Marathons führt uns weiterhin alles andere als geradelinig durch die Stadt. So bleibt der Lauf überschaubar, und ich bin dankbar für jedes Zwischenziel.  
Wir tauchen erneut unter der Rheinkniebrücke hindurch. Bis zur Königsallee ist es nicht weit. Auf der Gegenfahrbahn streben die schnelleren Läufer schon dem nahen Ziel entgegen. Ich halte nach Andi Ausschau, kann ihn aber nicht entdecken. 

Meine Pace liegt jetzt knapp über 5 Min./km. Die Beine sind kaum mehr zu bewegen, schneller zu laufen. Kraft und Energie gehen definitv zur Neige, obwohl der Puls sich etwas beruhigt hat.


Die "Kö" hinan erreichen wir Kilometer 40. Wie erwartet nehme ich weder den Wassergraben, die geschwungenen Brücken, noch die luxuriösen Geschäfte wahr. Publikum und Musikbands geben alles, um uns die letzten Meter zu erleichtern. 
Das Riesenplakat einer weiss geschminkten Japanerin verbirgt die Baustelle am Wendepunkt. Es macht darauf aufmerksam, dass es in Düsseldorf nach London und Paris die drittgrösste Japan-Town Europas gibt.


Auf dem Weg die Prachtstrasse hinunter, feuert der Läufer vor mir seinen Vereinskollegen an, welcher hinter mir läuft: "Komm schon, gib alles, du kannst es unter 3:25 ins Ziel schaffen!" 


Dass ich so gut unterwegs bin, war mir nicht bewusst. Eine Zeit unter 3:25 - das tönt verlockend! Ich lasse mich mitziehen. Zusätzlich motiviert durch eine begeisternde Trommler-Gruppe gelingt es noch einmal etwas schneller als 4:59 Min./km. zu laufen.


Eine letzte lange Gerade, dann kommt der Rhein in Sicht. Leicht abwärts geht's zum Zieleinlauf auf die Rheinufer-Promenade hinunter. Ein rotes Feuerwehrschiff fährt konstant vor dem Zielbereich. Bestimmt hat es zur Begrüssung der Sieger Wasserfontänen versprüht. 
Jetzt mobilisiere ich die letzten Reserven!


Die Uhr am Zielbogen zeigt tatsächlich noch 3:24 Stunden an. Ein kurzer Spurt liegt drin. Ich gebe alles! Endlich ist es geschafft! 
3:24:59 Stunden nach dem Startschuss schlüpfe ich ins Ziel. Erleichterung ist das vorherrschende Gefühl. Die Wellen des Glücks schlagen nicht so hoch, wie nach einem Erlebnis-Marathon! 

Im Ziel

Die Garmin zeigt etwa 3:24:45 Stunden an, und ich vergesse einen Moment, sie auszuschalten. 
Ein Läufer klopft mir auf die Schulter und bedankt sich für den regelmässigen Lauf, ich sei eine gute Pace-Makerin gewesen. Erstaunt frage ich nach, ob das wirklich stimme. Da taucht auch "mein" Pace-Maker von der ersten Streckenhälfte auf und gratuliert - jener mit dem knall-gelben "Lauffeuer" Shirt. Ob er vor oder nach mir ins Ziel gekommen ist, weiss ich nicht. Ich hatte ihn schon seit mehreren Kilometern nicht mehr gesehen?!

Die Helfer, welche uns die Medaillen umhängen, mahnen zum Weitergehen, und ich verliere die beiden in der Menge der ankommenden Läufer aus den Augen.

Einen Schritt vor den anderen zu setzen braucht sowieso die volle Aufmerksamkeit. Eben noch bin ich gerannt, und jetzt kann ich kaum mehr gehen. Ich schlinge eine Wärmefolie um die Schultern, trinke einen Becher Wasser und mache mich auf die Suche nach Andi.

Er wartet über ein Absperr-Gitter gelehnt. Dieser Lauf sei so hart gewesen und auf Zeit laufe er nie mehr, sind seine ersten Bemerkungen. Dass er es geschafft hat, unter den Umständen der letzten Wochen, 3:18:25 Stunden zu laufen, finde ich einfach genial. 


Während wir dem Versorgungszelt beim Schlossturm entgegen wanken, beginnen wir unsere Leistungen langsam zu begreifen und verspätet stellt sich doch ein grosses Glücksgefühl ein. 

Mit einem alkoholfreien Bier in der Hand erholen wir uns schnell. Eine erste grobe Analyse macht klar, dass wir beide wirklich unser Möglichstes gegeben, und den Marathon sehr ähnlich eingeteilt haben. Und wir sind mit mit identischem Abstand zu unseren Bestzeiten ins Ziel gelaufen (4:24 bzw. 4:27 Minuten).


Wir schlendern zum Duschen zum Hotel und schmunzeln über unsere Zimmernummer 318.
Nach einem kleinen Imbiss stellen wir uns auf dem Rathausplatz in die lange Läuferschlange, um unsere 2. besten je erreichten Marathonresultate auf der Rückseite der Medaille eingravieren zu lassen. 


Es zieht uns zurück an die Strecke. Noch immer sind Läufer unterwegs und die Trommler unterstützen sie unermüdlich.


Die Altstadt wimmelt jetzt von Marathon-Finishern, Staffel-Läufern und ihren Begleitern. 


Wir finden doch ein Plätzchen im "Sylter Fischkutter" auf der Rheinterrasse. 


In aller Ruhe lassen wir den Blick über den Fluss schweifen, schauen den Frachtern zu und lassen uns Spaghetti mit Lachs schmecken. Wir kommen mit einem jungen Paar aus Niederkassel in ein nettes Gespräch und ins Schwärmen über diese überschaubare, Lebensqualität bietende, freundliche Stadt.


Viel zu schnell vergeht die Zeit. Bei Sonnen-Untergang sitzen wir im Flieger nach Zürich. Und wir sind uns einig. Wenn alles gut geht, versuchen wir es Ende Jahr noch einmal mit einem schnellen Marathon!


Auf der Marathon-Urkunde finde ich die futuristischste Sehenswürdigkeit Düsseldorfs wieder, die mich auf Kilometer 38 so begeistert hat.
Dieses Bild ist ein schöner Beweis dafür, dass ich nicht geträumt habe, dass dieser Marathon Wirklichkeit ist, dass sich die unzähligen Stunden harten Wintertrainings gelohnt haben. 

Das gute Resultat ist nicht nur der Lohn für 3:24 Stunden harte Lauf-Arbeit. Nein, vor allem für das beharrliche Dranbleiben bei Wind und Wetter und anderen Stürmen des Lebens. 

Mehr bunte Bilder und humorvolle Berichte samt Fotos vom sonnigen Marathon-Tag gibt es bei marathon4you zu sehen.

Düsseldorf Marathon 3:24:48 Stunden 
4:51 Min./km / Puls 163
+/- 100 hm / 7° schön / 5 km/h Nordwind
5. von 106 W45
1. Halbmarathon 1:40:43 Stunden
2. Halbmarathon 1:44:05 Stunden

Track http://connect.garmin.com/activity/304858591
Finisher-Clip http://www.finisherclip.de/redirect/de/4004/4298?ref=email

4 Kommentare:

  1. Ein interessanter Bericht, war sehr schön zu lesen. Ich gratuliere dir (bzw euch) ganz herzlich zu dem tollen Ergebnis!

    Und sobald ich etwas mehr Zeit habe, antworte ich dir auf deine E-Mail :)

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    1. Es freut mich, dass dir mein Bericht gefallen hat - und danke für die Gratulationen!
      Wir sind sehr glücklich, dass es schlussendlich so gut geklappt hat!
      Ich bin gespannt auf dein Mail.
      Gruss Marianne

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  2. Gratulation zum tollen Ergebnis! Und dafür bekommst du "nur" eine Silbermedaille? Da wäre doch Gold - oder Platin die richtige Materialwahl.... :-)

    Gute Erholung! Und tolles Nachgeniessen!

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  3. Danke vielmals Chris!
    Kleine Silber-Medaillen haben die Staffelläufer gekriegt - unsere schimmert golden, das sieht man auf dem Foto schlecht ;-)
    Doch ich find es toll, dass du meinst, ich hätte edleres Metall verdient. Egal woraus die Medaille besteht - es hängen nun viele Erinnerungen daran und das macht sie unbezahlbar :-)
    Das Nachgeniessen ist nach diesem Grenz-Gang besonders schön. Die Mühe verblasst und die Zufriedenheit wächst.
    Dir auch gutes Gelingen für dein Halbmarathon-Training!
    Gruss Marianne

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