Samstag, 15. März 2014

Kerzerlauf - entweder man liebt ihn...

... oder man liebt ihn nicht.
Andi liebt diesen hügeligen 15 Kilometer-Lauf sehr. Er hat noch keine Austragung ausgelassen, seit wir vor elf Jahren hier zum aller ersten Mal zu einem Wettkampf gestartet waren.
Die Elite schätzt den Kerzerslauf ebenfalls und nutzt die "Swiss-Season-Opening" gerne zu einer Standortbestimmung. 



Bei den lätti runners gehört der Kerzerslauf fest ins Jahresprogramm. Mehr als die halbe Laufgruppe ist heute dabei.


Seit 2003 konnte ich mich nur einmal wegen einer Erkältung nicht ins Startfeld stellen.


Aber ob ich ihn liebe, diesen Lauf mit dem fordernden Profil? Ich freue mich auf die wunderschöne Landschaft, habe aber riesigen Respekt vor den Hügeln, die mir immer überdeutlich aufzeigen, wie es um meine Form steht! Entweder "läuft" es mir hier gut - oder gar nicht...


Ich bin froh, heute nicht alles geben zu müssen. Da die Zufriedenheit nach dem Lauf von den Erwartungen abhängt und wir mitten in den beiden anstrengendsten Trainingswochen im Notfall-Plan vor dem Zürich Marathon stecken, nehmen wir uns "nur" ein Marathon-Tempo-Training vor. Ich hoffe mit ca. 155 Durchschnittspuls eine Pace von 5:00 Min./km und eine Ziel-Zeit von 1:15 Stunden erreichen zu können. 


Um 12:34 Uhr wird der 4. Startblock auf den Weg geschickt, und nach 500 Metern geht es bereits richtig zur Sache, der erste steile Anstieg wartet. 


Noch bevor ein Kilometer zurückgelegt ist, wird klar, ob man einen guten Kerzerslauf-Tag hat oder nicht! Obwohl ich mich zurückhalte, klettert mein Puls höher als mir lieb ist. Kribbelt bereits ein bisschen Milchsäure in den Waden?


Die Strecke führt hinaus zwischen die Gemüsefelder, es riecht nach Zwiebeln und Maggikraut. Nach dem ruppigen Anstieg folgt eine sanfte Abwärtspassage, man kann ein paar hundert Meter aufatmen, bevor der Kurs beinahe konstant bis zum 6. Kilometer ansteigt.

Meine Beine fühlen sich eigenartig kraftlos, müde und wackelig an. Offenbar sitzt mir die Heimreise in den Knochen. Ich bin gar noch nicht ganz da! Erst seit 17 Stunden sind wir zurück aus Lappland. Obwohl der gestrige Morgen strahlend ausgesehen hatte, hielt er ein weiteres Abenteuer bereit.



Erneut zogen Sturmausläufer einer Extremwetterlage von Norwegen heran ("Kyrre"). Und da die Vormittags-Route der NextJet nicht direkt nach Stockholm führt, sondern auch das 20 Flugminuten nördlicher gelegene Arvidsjaur bedient, durften wir gleich zwei äusserst holprige Starts und eine nervenaufreibende Wackel-Landung bei einer Windstärke von an die 100 km/h "geniessen".



Die Aussicht auf Arvidsjaur, und die Eis-Kreise im Eldorado der Auto-Tester waren aber ganz spannend anzusehen und haben etwas von meiner Start- und Lande-Panik abgelenkt.



Über den Wolken war der böige Nordwind nicht mehr zu spüren, und der Flug über die wasserreiche Landschaft wurde erstaunlich ruhig. Ein bekannter See, der Örträsksjö tauchte unter dem Flieger auf, und sofort waren die Erinnerungen an den regnerischen 1/4-Marathon Örträsksjön Runt wieder wach, den wir letzten Sommer gelaufen waren.


Nach drei Kilometern versuche ich mich endgültig auf die Schweizer Wälder und das anspruchsvolle erste Strecken-Drittel einzustellen. 


Auf staubigen Naturwegen geht es stetig mehr oder weniger sanft aufwärts. Wenn auch das Herz etwas hefiger pocht als erhofft, so gelingt es doch einigermassen gut, die geplante 5:00 Min./km Pace zu halten. 


Überraschend landen wir plötzlich in einer ganz anderen Welt - dem Mittelalter!
Bei der Kallnacher Waldhütte haben die Schauspieler von "1476" ihr Lager aufgeschlagen und machen Werbung für das Freiluft-Theater, das vom 13. Mai bis zum 28. Juni auf dem Originalschauplatz die Geschichten um die Schlacht von Murten erzählen wird.


Obwohl ich einen kurzen Halt einlege, wird das Foto nicht ganz scharf. Zu eindrücklich war die Begegnung mit den hellebardenbewehrten Eidgenossen, ärmlich gekleideten Bauern, mit Kettenhemden gewandeten Soldaten, den vielen russverschmierten Gesichtern unter antiken Helmen, als dass ich das Bild vorenthalten möchte.


Auch wir haben einen Kampf zu bestehen - die Strecke klettert weiterhin den Wald hinan ...


... bevor wir die mit viel Schweiss erarbeiteten Höhenmeter in weniger als einem Kilometer wieder hinunter stürmen dürfen.


In abenteuerlichem Tempo und wunderlichen Laufstilen galoppiert der Läufer-Tatzelwurm nach Niederried bei Kallnach hinunter. Hei wie sehr ich diese Passage jedes Jahr von Neuem geniesse!




In der Ebene folgt eine Verpflegungsstelle, und es heisst wieder ein vernünftiges Tempo zu finden. Während wir zum schönen Naturweg hinunter rennen, der entlang des Stausees Niederried verläuft, sind unter den Läufern wieder Gespräche zu hören. Erstaunlich häufig wird Französisch gesprochen. Der Lauf lockt viele Teilnehmer aus der Westschweiz. 



Nur ganz leicht wellig führt der Kurs auf einem Wanderweg naturschön entlang des Wassers. Ab und zu muss man über eine Wurzel springen oder einen Satz über ein Bächlein nehmen. 
Ich komme in Versuchung, hier ins Wettkampf-Tempo zu fallen, muss nach dem 8. Kilometer bremsen und mich wieder auf mein Vorhaben besinnen, mit Marathon-Intensität zu laufen. 



Die vorangehenden 10 Teilnahmen haben gezeigt, dass wir auf dem 9. Kerzerslauf-Kilometer meist (+/- wenige Sekunden) mit der endgültigen Durchschnittsgewindigkeit unterwegs sind - heute stoppe ich hier 5:01 Min./km - das passt!



So lange die Läufer noch lächeln können, knipst ein Fotograf Erinnerungsbilder. Denn gleich folgt das Piece de resistance ...


Da türmt er sich auf, der "Golaten-Stutz", nach den Anwohnern auch "Ramsey-Hill" genannt! Auf wenigen hundert Metern gilt es 70 Höhenmeter zu überwinden. Die Gartenzwerge von Ramseyers geben uns einen fröhlichen Gruss mit auf den steilen Weg.


Jetzt heisst es "beissen" und gute Gedanken hervor kramen.   


Die Banner der Post und eine Treichler-Gruppe sorgen für Aufmunterung. Wie viele andere, erlaube ich mir dieses Jahr dennoch eine kurze Gehpause.




Schnell wird der Weg flacher, ein grosser Werbe-Bogen markiert das Ende des Aufstiegs, und beim bald folgenden 10-Kilometer-Schild sind die grössten Strapazen des Kerzerslaufs geschafft!



Die Guggenmusik "Ringmuurechutze" sorgt für Stimmung und versetzt uns einen Energie-Kick, für die Bewältigung des letzten Hügels, der nach dem Durchlaufen des Festzeltes in Golaten folgt.




Westwind-Böen wirbeln Staub auf, als es nach dem 11. Kilometer endlich abwärts geht.


Auf den letzten vier Kilometer versöhne ich mich jeweils wieder mit der Strecke, das anspruchsvolle Profil ist vergessen. Die lange Abwärtspassage ist ein Genuss!

Bei der Waldhütte von Kerzers wird gegrillt, Kinder spielen auf dem Spielplatz und der "Örgelimaa" lässt das bekannte Volkslied "Es Buurebüebli mah-ni nid..." erklingen - es ist noch lange zu hören, während wir kurz nach dem 12. Kilometer die letzten ein, zwei Höhenmeter überwinden.





Jetzt kommt sogar die Sonne hervor. Und bald "läuft" es auf der Teerstrasse noch leichter dem Ziel entgegen.


Marathon-Tempo-Training hin oder her - jetzt lasse ich es einfach rollen! Die Frühlingssonne beflügelt, genauso wie das begeisterte Publikum und die sommerlichen Steelband-Klänge. Mein "Chassis" hat erstaunlich gut mitgemacht. Mit 4:25 Min./km geht's dem Ziel entgegen, und die vielen Kieselsteine, die im Profil des einen Schuhs stecken geblieben sind, schlagen fröhlich den Takt.




Den Zieleinlauf muss man in Kerzers gut dosieren. Beim Startbogen ist noch nicht Schluss. Die laufende Uhr ermutigt mich zu einem Endspurt, denn ich entdecke, dass es zu einer Zeit unter 1:14 reichen könnte.


Hat man den blauen Teppich erst erreicht, schafft man die wenigen Meter aufwärts der Kirche entgegen auch noch.
Mit der Zeit von 1:13:45 bin ich sehr zufrieden, obwohl ich mir erhofft hatte, dieses Resultat mit etwas geringerer Kreislaufbelastung zu erreichen. 
Andi läuft ebenfalls genau 6 Minuten langsamer als letztes Jahr. 


Wir hoffen, dass wir bei diesem Trainings-Lauf unter Wettkampfbedingungen nicht zu sehr über die Stränge geschlagen haben, und dass wir nun gut gerüstet sind für die folgenden 10 anstrengenden Trainingstage, die zwei Longruns und zwei umfangreiche Intervalle enthalten.



Genauso herrlich wie das Landschaftserlebnis ist beim Kerzerslauf die erfrischende Zielverpflegung! 


Wir stärken uns vitaminreich, und ich entferne den Ballast aus meiner Schuhsohle ... 



... dann traben wir zum Auslaufen den lätti runners entgegen, die eine knappe halbe Stunde nach uns gestartet waren.


Zu acht gönnen wir uns nach einer wortwörtlich erfrischenden Dusche im mobilen Duschwagen Bratwurst und Bier, und der Imbiss schmeckt besonders gut, da die ganze Gruppe von Erfolgsgeschichten berichten kann. 


Ich liebe ihn doch sehr, den Kerzerslauf - ganz besonders wenn er geschafft ist!

Kerzerslauf - 15 hügelige km 1:13:44.7 Stunden
4:55 Min./km / Puls 161 (90,4 % MaxHF)
+/- 180 hm / 13° dünne Wolkendecke - leicht sonnig, 11 km/h Westwind

Track http://connect.garmin.com/activity/461316261

4 Kommentare:

  1. Gratulation! Du hast dich recht ausgepowert beim Laufen. Sogar die grossen Schweisstropfen sind auf den Bananenbildern zu sehen. Das ist Einsatz! Und das Wetter war ja goldig! Solches Höhenprofil laufe ich täglich. Bei uns komme ich auf ebenen Wegen keine 500 Meter weit... :-)

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    1. Danke Chris
      Derart auspowern, dass der Schweiss sprüht wollte ich mich eigentlich nicht - das Zürich-Marathon-Training geht ohne Regenerations-Pause weiter!
      Auf unserer Heimstrecke habe ich mich an die Höhenmeter gewöhnt. Es gibt hier auch mindestens 10-20 auf jedem Kilometer. Aber bei den Wettkämpfen ziehe ich es vor, den Tempomat einzustellen und möglichst flach und gleichmässig dahinzugleiten. Trotz 6maliger Teilnahme am Jungfrau Marathon kann ich mich bei kurzen Rennen nicht mit Hügeln anfreunden ;-)
      Gruss Marianne

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  2. Liebe Marianne,
    da hast Du ja ereignisreiche Tage erlebt! So ein Flug hätte mich auch ganz viel Schweiß und Nerven gekostet. Aber nun, das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man ein paar schöne Urlaubstage verleben will.
    Glückwunsch zum absolvierten Kerzerslauf! Ich hatte schonmal am Sonntag in die Ergebnisliste geschaut und mich gefreut, dass es eine gute Zeit war. Auch wenn für Euch "nur" Marathontempo, für mich ist das Expressniveau!
    Lustig, Dein letzter Satz, ich liebe auch ALLE Läufe, wenn sie geschafft sind :-)
    Liebe Grüße und weiterhin erfolgreiches Nottraining!
    Elke

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    1. Liebe Elke
      Der durch den Flug-Stress verursachte hohe Adrenalin-Spiegel war bestimmt nicht das ideale Kurz-Tapering-Programm. Der Vorteil ist nun jedoch, dass es was Inlandflüge in Nordschweden anbelangt, kaum noch abenteuerlicher werden kann.
      Danke für deine Glückwünsche, guten Wünsche und für's Mitfiebern. Wir sind ganz zufrieden mit unserem Training unter Wettkampfbedingungen und haben uns nun optimistisch für den Zürich Marathon angemeldet, obwohl wir uns noch nicht vorstellen können, dieses Tempo locker über 42.2 km zu halten ;-)
      Auch euch weiterhin gutes Gelingen und viel Vorfreude auf Wien!
      Liebe Grüsse
      Marianne

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