In der Nacht träume ich vom Berglauf in Ammarnäs und sehe mich über Stock und Stein laufen. Frühmorgens um sechs Uhr entscheiden wir uns doch dagegen. Nach einem heftigen Gewitter ist Nebel aufgekommen, und wir sehen ohne gute Sicht von der dreistündigen Fahrt entlang der Flusstäler des Ume- und Vindelälven in den Norden ab.
Gegen Mittag schlagen wir den Weg nach Süden ein. Der Dunst hat sich gelichtet und in neue Cumulus-Wolken verwandelt. Ab Gäddträsk, dem joggend erkundeten Nachbarörtchen, erwarten uns 40 Kilometer Schotterpiste durch unendlich scheinenden aber faszinierend verschiedenartigen Wald.
Selten verläuft die Strasse auf eine Hügelkuppe, welche Aussicht über weitere bewaldete Hügelrücken bietet, und wir durchqueren nur einen einzigen Weiler. Das Ah und Oh ist umso gröser, als wir den Örträsksjön erreichen.
Rund um den See breiten sich am steilen Ufer Felder und Weiden aus, und oberhalb dieser thront zu beiden Seiten am Waldrand das Dorf Örträsk - von vielen als der schönste Ort Västerbottens gerühmt.
Das Schulhaus erwacht für einen Tag aus seinem zehnwöchigen Sommerferien-Schlaf. Hier erstehen wir für je 150 kronen (knapp 20 Franken) Startnummern für den Hauptlauf. Neben dem 1/4-Marathon kann man über fünf Kilometer starten, und es gibt Kinderläufe über 500 und 1500 Meter. Im Preis inbegriffen ist die Busfahrt zum Start auf der Westseite des Sees.
In der grössten, schwülen Mittagshitze sammelt sich am idyllischen Vargån (Wolfsbach) eine kleine Schar von 45 Läufern (13 Frauen und 32 Männer) - darunter auch eine handvoll Eliteläufer, da der Örträsksjön Runt zur Wertung des Lauf-Cups "Västerbottens Grand Prix" zählt.
Zum Einlaufen wählen die meisten einen sandigen, lauschigen Waldweg. Auch wir versuchen im Schatten zu erspüren, was wir nur sechs Tage nach dem Ekorrsele-Marathon von unseren Beinen verlangen dürfen. Richtig übermütig, wie noch vor zwei Tagen, fühlen sie sich nicht mehr an. So kurz nach einem Marathon haben wir noch nie einen Wettkampf gewagt - heute kann es lediglich ums dabei Sein gehen!
Wenige Minuten vor 13 Uhr werden wir zur Startlinie gerufen, und wir sind froh, dass es bald los geht, denn die Mücken freuen sich über das ungewöhnlich grosse Angebot an nackter Haut.
Mit dem Startkommando "fem - fyra - tre - två - ett - spring" werden wir auf den 10.55 Kilometer langen Weg geschickt, und die Gewitterwolken rücken ein Stück zur Seite, so dass die Sonne ungehindert unseren Lauf verfolgen kann.
Ich habe mir vorgenommen trotz 25° im Schatten den Puls gut im Zaum zu behalten. Auf den ersten drei relativen flachen Kilometern rollt es erstaunlich locker, und die Pace um 4:30 Min./km überrascht mich positiv.
Wie es in Schweden bei kleinen Wettkämpfen üblich ist, reist das Publikum mit den Läufern mit, und wir kommen in den Genuss von reichlich Motivation durch viele "heja, heja"-Rufe. Bald habe ich zwei Konkurrentinnen überholt.
Alle 2.5 Kilometer werden uns Wasserbecher und Schwämme zum Erfrischen gereicht. Ich trage zwar meine eigene Trinkflasche mit, schnappe mir aber gerne einen Becher, um den Kopf zu kühlen.
In Västra Örträsk scheint beim winzigen ICA-Geschäft (entspricht der Schweizer Migros) das ganze Dorf versammelt zu sein.
Es geht wieder hinaus auf die festlich beflaggte Landstrasse. Neben den Fahnen der bekannten nordischen Länder, weht auch die erst 1986 geschaffene Sami-Flagge mit ihrem Sonne-Mond-Symbol. Rot, grün, gelb und blau sind die Farben der traditionellen Sami-Tracht und stehen für Wärme - Feuer - Licht, Natur, Sonne und Wasser.
Die Strecke wird hügeliger und führt auf den nächsten drei Kilometern über Fårbergert (den Schafberg). In der Tiefe glitzert der See, und hoch über dem andern Ufer grüsst die weisse Holzkirche, bei der das Ziel sein wird. Die Anwohner geniessen ihre Logenplätze, unterstützen uns kräftig mit Applaus, witzeln aber schon mal über die schöne Wärme in diesem Ausnahme-Hochsommer, welche uns natürlich heute ganz besonders zu schaffen macht!
Mein Kopf glüht, ich kriege beim Ringen mit den Höhenmetern Seitenstechen und ein flaues Gefühl im Magen, hole aber doch eine weitere Frau ein. Sie legt immer wieder Gehpausen einlegt (im Ziel wird sie mir erzählen, ihr sei hundeübel gewesen). Beim nächsten Verpflegungsposten bleibt sie länger stehen und fällt weit zurück.
Den Schafen auf dem Schafberg scheint die Hitze auch zuzusetzen. Meine Pace ist auf den letzten drei Kilometern auf 4:48 Min./km zusammengeschmolzen. Nach den drei Überholmanövern erwacht aber doch ein bisschen Ehrgeiz, und ich bin entschlossen, meinen Rang nicht mehr herzugeben, obwohl ich keine Ahnung habe, welcher es ist! Letztes Jahr war ich wesentlich schneller unterwegs gewesen und als 7. ins Ziel gekommen.
Nun folgt ein angenehmerer Abschnitt, ich kann mich entspannen und die Beine ausstrecken - es geht erst sanft ...
... und am Ende des Sees rasant zur Brücke über den Fluss Öreälven hinunter. Die Gegensteigung ist schon zu sehen - doch nun koste ich das Gefühl aus zu fliegen - 3:45er Pace - ich kann die Schritte langziehen, kein Muskel zwickt - ich schwebe auf meinen On Cloud wie auf Wolken!
Andi hat sich an einer Vierergruppe vorbei gearbeitet und läuft nun vorneweg die etwa 600 Meter lange Rampe hinan.
Ein Blick über den malerischen Öreälven, der gemütlich mäandernd dem Meer entgegen fliesst - dann wird es auch für mich richtig hart!
Die Aufmunterung der mitreisenden Zuschauer tut gut, aber es gelingt mir nicht, ihre motivierenden Worte länger als ein paar Meter zu merken. Die Hitze lässt mich Kringel sehen! Als ein Bick zurück bestätigt, dass mir niemand auf den Fersen ist, erlaube ich mir, einen Gang zurück zu schalten - die Garmin stoppt den 8. Kilometer nach 5:30 Minuten.
Oben angekommen bin ich mutterseelenalleine mit dem Wald, den Wolken, den Weidenröschen und der Wärme. Es gelingt gut, auf der weiterhin welligen Strecke hoch über dem See wieder ins Rollen zu kommen, doch ich will meinen Körper nicht mehr mit einem Endspurt belasten. Die Zeit vom letzten Jahr ist unerreichbar, hinter mir ist niemand in Sicht. So lasse ich den Puls ein paar Schläge sinken, schaue mir die schönen Häuser am Wegrand an und lasse den Blick über die vom gewittrigen Licht magisch beleuchtete Landschaft schweifen.
Auf der Zielgeraden hoch zur Kirche warten die letzten Höhenmeter. Jeder ankommende Läufer wird mit Namen willkommen geheissen, und ich habe kaum die Stoppuhr gedrückt, da halte ich schon einen kühlen, geschliffenen Granitstein mit der Örträskmaran-Plakette in der Hand.
Andi wartet am Verpflegungstisch - er hat die Strecke genau zwei Minuten schneller bewältigt. Ich stürze mehrere Becher Wasser uns "Saft" (Himbeersirup), und wir staunen beide, wie gut sich dieser Wettkampf so kurz nach dem Marathon bewältigen liess. Den Muskeln geht es prima, und der Kreislauf erholt sich schnell von der Hitzebelastung.
Zwei Minuten nach mir kommt Jenny-Ann ins Ziel - die Frau, die ich am Schafberg überholt hatte. Sie meint, ich müsse wohl auf den 3. Rang gelaufen sein, sie habe vor sich nur zwei Spitzenläuferinnen davonziehen sehen. In Schweden bin ich bisher immer unter "ferner liefen" gelaufen - also kann ich ihr nicht recht glauben.
Vor der Siegerehrung wollen wir uns eine erfrischende Dusche gönnen. Das Wasser strömt im Schulhaus aber derart heiss aus der Brause, dass man den Duschkopf möglichst hoch hängen muss, damit man knapp über dem gekachelten Boden ein paar etwas abgekühlte Tropfen auffangen und sich damit notdürftig waschen kann.
Nun folgt der Teil des Anlasses, der uns bei Schwedischen Läufen abgesehen vom Naturerlebnis besonders begeistert - das gemütliche Beisammensein. In Örträsk trifft man sich dazu beim Hembygdgården. In den meisten Dörfern gibt es einen solchen alten Hof, der als Freilichtmuseum, Flohmarkt, Restaurant und Versammlungsplatz für die Bevölkerung dient.
Bevor wir uns zum Picknicken setzen, will die Aussicht über den See und die zurückgelegte Strecke bewundert sein! Im Süden ist die Bogenbrücke über den Öreälven zu sehen, und auf der gegenüberliegenden Seeseite thronen die Häuser von Fårberget oberhalb der Weiden am Hang. Es gäbe gar einen Badestrand samt Feuerstelle.
Im Schatten der Birken ist es gemütlich, die Kinder spielen zwischen den Erwachsenen Fangspiele, wie zu Michel von Lönnebergas Zeiten, und wir könnten noch lange so sitzen, plaudern, Hamburger essen und Kaffee trinken, wenn da nicht die riesigen Gewitterwolken wären, die in der Ferne langsam zu rumpeln beginnen.
Natürlich bin ich auch gespannt auf die Rangverkündigung. Tatsächlich - als Zweitälteste im Feld der im Schnitt 36-Jährigen, werde ich aufgerufen und darf als Preis für den 3. Rang eine grosse Kasserolle in Empfang nehmen!
Andi ist froh in Schweden mal nicht im letzten Viertel gelandet sein, und freut sich über seinen 11. Platz unter den 32 Gestarteten. In der Verlosung geht er, wie die meisten, nicht leer aus und gewinnt eine Schirmmütze samt Falt-Aufbewahrungs-Boxen.
Genau als wir ins Auto steigen fallen die ersten Tropfen, und auf der Fahrt über die einsame Wald-Piste krönt ein Ren unseren erlebnisreichen, sowohl anstrengenden, als auch gemütlichen und unvergesslichen Ausflug zum Örträsksjö!
Örträsksjön Runt - 1/4 Marathon
10.55 km / 50:14 Minuten / 4:45.7 Min./km / Puls 164
+/- 170 hm / 25° gewittrig, leichter NNW-Wind
3. von 13 Frauen
18. von 45 Teilnehmern
Track http://connect.garmin.com/activity/544833913
Huch, jetzt scheint mein Kommentar weg?! 3.(!) Versuch:
AntwortenLöschenAlso nochmals allerherzlichste Glückwünsche zu einem schönen und flotten Lauf, zu einer schönen Plakette und zur Ergänzung des Hausrats! So viele schöne Bilder hast Du trotz des Renntempos gemacht! Und wer malt immer die wunderbaren Wolken dort an den Himmel...?
Liebe Grüße und gute Erholung!
Elke
Hallo Elke
LöschenDas ist nicht das erste Mal, dass ein Kommentar in den Tiefen des www verschwunden ist - schade für die Mühe. Schön, dass du hartnäckig bliebst!
Danke für die lieben Glückwünsche. Ja, ich war sehr erstaunt und glücklich, wie gut es trotz Hitze, praktisch ohne Tempo-Training und nur sechs Tage zurückliegendem Marathon lief!
Da ich "nur" einen Erlebnislauf vor hatte, trug ich den Fotoapparat mit. Bei einem voll gelaufenen 10er hätte ich wohl nicht mehr die Energie Bilder zu knipsen ;-)
In Örträsk gibt es immer praktische Preise zu gewinnen. Schon letztes Jahr waren diese mehr wert als das Startgeld!
Die Wolken sind wirklich speziell und faszinierend hier im Norden. Sie scheinen viel tiefer über die Landschaft zu segeln als zuhause. Dank den ständig wechselnden Lichtverhältnissen ist kein Tag wie der andere.
Wir erleben hier einen ungewöhnlichen Traum-Hochsommer und ein Ende der warmen Tage ist nicht in Sicht! Unsere Batterien sind schon randvoll mit Licht, Wärme und Bilderbuch-Sommerbildern gefüllt - für Erholung ist also gesorgt!
Liebe Grüsse und auch euch einen schönen Sommer!
Marianne
Liebe Grüsse
Marianne
Härligt inlägg, så fina bilder att njuta av.
AntwortenLöschenSjälv ligger jag i träning inför Tjejmilen som går i Stockholm första helgen i september.
Ha det gott i sommarvärmen.
Annika
Hej Annika
LöschenRoligt att du hittade hit, just nu när vi semestrar i "ditt" land!
Det är ju en alldeles ovanlig och overklig vacker sommar som vi får njuta av, och jag kunde inte låta bli att ta med fotoapparaten även till tävlingen i Örträsk.
Härligt att ha ett mål med trainingen - lycka till med laddningen inför Tjejmilen och bara det bästa för den stora dagen!
Många hälsningar från Lappland
Marianne