Es ist sehr kalt und regnet leicht, als ich zum Joggen aufbreche. Im Wald platschen dicke Tropfen von den Bäumen. Auf den Naturwegen liegt wieder eine dünne Schicht von neuem Nassschnee. Ich hab mich für meine übliche Umkehrstrecke auf der Teerstrasse entschieden. Meine Beine wählen nach einem Kilometer jedoch die Route auf die Montags-Wald-Runde!?
"Na, dann - joggen "wir" eben trotz Schnee und Matsch durch den Wald", findet sich mein Kopf ab. Und er versinkt ins Nachdenken über diesen Winter. Joggen ist meditativ, "es denkt" dabei oft ganz von selbst, und manchmal habe ich den Eindruck heimlicher Zuhörer eines Zwiegesprächs zu sein, das in meinem Gehirn stattfindet. Heute wenden sich so alle negativen Gedanken ins Positive.
Ich komme zum Schluss, dass dieser harte Winter mit den oft schlechten Strassen-Bedingungen nicht nur mühsam war! Hat er mich nicht auch stark, anpassungsfähig, flexibel und überraschend schnell gemacht?
Trotz der nebligen, feuchten Szenerie und des kalten Wassers, das in meine Schuhe dringt, breitet sich ein Gefühl von tiefster Dankbarkeit und Wärme in meinem Herz aus. Ob der gute Kerzerslauf allein, die Ursache dafür sein kann???
Die Zeit nach meiner Rückenoperation kommt mir in den Sinn (Diskushernie zwischen 4. und 5. Lendenwirbel nach einem Sturz). Im Herbst 2007 konnte und durfte ich sechs Wochen lang keinen einzigen Schritt rennen. Es war nicht ganz klar, ob dies je wieder ganz beschwerdefrei möglich sein würde... Damals hatte ich meinem Körper versprochen, nie mehr nach Bestzeiten zu jagen. Mein einziger Wunsch war überhaupt wieder rennen zu können!
Genau als ich mir auf meinem 5. Jogging-Kilometer vornehme, wieder bewusster dankbar zu sein für jeden Laufschritt, den ich machen darf - ob bei Kälte, Nässe, Sommerhitze, Wind oder Schneesturm, langsam joggend oder schnelle Wettkämpfe rennend - landen zwei Nachrichten in kurzer Folge in meinem iPhone:
"Andreas hat ein Foto geschickt" - "Andreas hat ein Foto geschickt"...
Ich freue mich auf frühlingshafte Landschaftsbilder aus Almaty in Kasachstan. Andi ist geschäftlich dort und trainierte in einer Sitzungspause.
Die blauen Balken der Empfangsanzeige wandern sehr langsam. Schliesslich erscheinen keine sonnigen Frühlings-Landschaften, wie ich sie von seinen früheren SMS kenne...
... sondern hässliche Bilder einer grossflächig geschürften Schulter und einem tief aufgeschlagenen Ellenbogen.
Die angefügte witzig verfasste Unfallmeldung erschreckt mich mehr, als dass sie beruhigt:
"Draussen trainieren ist schön: 15°/ 5:35 Min/km. / Berg (zum Eislaufstadion Medeu) hoch und wieder runter - zu schnell für alle Autos - ausser einem..."
Da stehe ich nun im Regen, verlange nach mehr Infos und versuche zu begreifen, was passiert ist:
Andi hatte versucht dem Verkehr, in der Stadt Almaty zu entkommen. Er war den Berg zum Stadion hoch gelaufen und hatte den Wind und die bessere Luft genossen.
Auf dem Rückweg musste er erneut viele Seitenstrassen überqueren. Abgelenkt durch einen schönen, geparkten Oldtimer sei er von einem plötzlich auftauchenden Auto - und dessen Fahrer vom ungewohnten Anblick eines Läufers - überrascht worden:
Knirschen von bremsenden Reifen auf Sand -
die Kühlerhaube kaum einen Meter entfernt -
ein erschrockener Satz von der Gefahr weg -
Landung in einem Schlagloch -
Sturz -
Weiterrutschen auf der rechten Schulter, dem Ellenbogen und der Hüfte -
Bremsen mit rechter Hand -
und nun zum grossen Glück nur brennende Wunden voller Steinchen, Sand, Gummi, Öl und allem anderen, was die kasachischen Strassen zu bieten haben und ein paar Prellungen...
Plötzlich hätte alles ganz anders sein können!!!
Mein aus dem Nichts auftauchendes Gefühl tiefer Dankbarkeit hat eine Erklärung gefunden! Geniessen wir jeden (gemeinsamen) Schritt!
Plötzlich hätte alles ganz anders sein können!!!
8.1 km Jogging 6:04 Min./km / Puls 115
+/- 90 hm / 2° leichter Regen
Track http://connect.garmin.com/activity/285944000
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen